Zum 130. Todestag: Die „deutsche“ Seite des Robert Louis Stevenson

HomeZum 130. Todestag: Die „deutsche“ Seite des Robert Louis Stevenson Zum 130. Todestag: Die „deutsche“ Seite des Robert Louis Stevenson Mit Klassikern wie der „Schatzinsel“ und „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ wanderte R. L. Stevenson in fast jedes Bücherregal. Der britische Autor kannte sich auch in Deutschland gut aus.Ariane Handrock03.12.2024 03:30 UhrDer schottische Bestsellerautor Robert Louis StevensonJ. Notman/imagoDies ist ein Open-Source-Beitrag. Der Berliner Verlag gibt allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.Der Schriftsteller Robert Louis Stevenson war ein Held meiner Kindheit, denn posthum befreite er mich aus den engen Grenzen der DDR. Mit seinen Romanen, Novellen und Erzählungen führte er mich zu Orten, an die ich damals ohne ihn nie gelangt wäre, wie sein Geburtsland Schottland oder seine Reiseländer in Polynesien.Mit ihm unternahm ich abenteuerliche Zeitreisen in vergangene Jahrhunderte. So grub ich beim Lesen von „Die Schatzinsel“ mit dem Gastwirtssohn Jim Hawkins auf einem fernen Eiland unter Palmen nach Piratengold. Mit dem Waisenjungen David Balfour und seinem Freund, dem Jakobiten Alan Breck Stuart, versteckte ich mich in „Entführt“ vor englischen Soldaten im schottischen Heidekraut. Auch sprang ich in „Das Flaschenteufelchen“ unvermittelt in das Leben des hawaiischen Steuermannes Keawe, als er in San Francisco eine Flasche aus milchweißem Glas kaufte. Gemeinsam starrten wir, hoffend und fürchtend, auf den unheimlichen schwarzen Schatten, der darin herumhüpfte.In seinen Büchern grübelte mein Held oft über den seelischen Konflikt von Menschen nach, lichte und düstere Neigungen in sich zu vereinen. Mit Feder und Papier stand er armen Waisen, schottischen Freiheitskämpfern und weiteren Bedrängten bei und rückte mordlüsterne Seeräuber, habgierige Verwandte und andere Tunichtgute ins schlechteste Licht.Buch-Sensation: Ire entdeckt zufällig unbekannte Geschichte des Dracula-Autors Bram StokerVon Alexander SchmalzLiteratur20.10.2024Erst Jahre später, die DDR gab es nicht mehr, entdeckte ich plötzlich unter schwierigen Umständen Stevensons „deutsche“ Seite, denn seine Schriften, die sich auf Deutschland bezogen, waren überwiegend auf Englisch erschienen. Die wenigen Übersetzungen ins Deutsche finden sich nur selten in Bibliotheken.Das finde ich für deutsche Fans von Stevenson schade, denn die Beziehung des Autors zu Deutschland war sehr facettenreich. Laut einiger Biographen hatte er bereits als Kind 1862 und 1863 seine Eltern und andere Verwandte zu Kur- und Ferienreisen nach Deutschland begleitet. Er besuchte dabei erstmals Augsburg, Bad Homburg vor der Höhe, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Heidelberg, Koblenz, Köln, München, Nürnberg und Wiesbaden.Kurhaus in Bad Homburg, Ende des 19. JahhrundertsH. Tschanz-Hofmann/imago „Mir kommt es so vor, als hätte ich mein ganzes Leben in Frankfurt verbracht“ Offenbar empfand er seine Erlebnisse dort als angenehm, denn im Sommer 1872 besuchte er Deutschland erneut. Briefe an seine Familie, Freunde und Bekannte verdeutlichen, dass er auch dieses Mal seine Reise überwiegend als vergnüglich und interessant empfand. In Köln besichtigte er den Dom, schwamm im Rhein und besuchte das Sommertheater im Tivoli Garten, wo er das Schauspiel „Mutter und Sohn“ der Erfolgsautorin Charlotte Birch-Pfeiffer sah. Nebenher entspannte er sich bei Wein oder Bier in Gaststätten in Deutz und Eckenheim.Zu seiner deutschen Lieblingsstadt wurde Frankfurt am Main. Er gestand seiner Mutter: „Mir kommt es so vor, als hätte ich mein ganzes Leben in Frankfurt verbracht und als würde ich die Stadt nie verlassen.“Kurt Ehrlich: Ein Berliner Verleger im Kampf gegen Moral und ZensurVon Bettina MüllerBerlin07.05.2024Doch dann reiste er, wohl neugierig, nach Sachsen weiter. Dresden empfand er zwar als „Zufluchtsort vor dem schrecklichen Leipzig“, schätzte aber auch die Vorteile beider Städte: Dresden „war ein Ort, an dem man etwas zu essen bekam, sich amüsieren konnte und wo ich von einer gewissen lästigen Gesellschaft verschont blieb. In all dem hatte es die Vorteile von Leipzig“, schrieb er an seine Bekannte Elizabeth Crosby. Danach traf er sich mit seinen Eltern in Baden Baden, bevor es über Wiesbaden und Bad Homburg vor der Höhe in die schottische Heimat ging. Eine Kurzreise mit seinen Eltern 1875 nach Wiesbaden war sein letzter Aufenthalt in Deutschland, das er im Geiste offensichtlich auch weiterhin besuchte.Das kleinstaatliche Deutschland und vermutlich auch seine Natur, die er bei Spaziergängen unter anderem am Main erlebt hatte, wurden zu seinen literarischen Inspirationsquellen. Als Ergebnis veröffentlichte Stevenson 1885 seinen zweiten Roman „Prinz Otto. Eine Romanze“.Frankfurt am Main hatte es Stevenson besonders angetan.Artokoloro/imagoSeine Hauptfigur Prinz Otto regiert das fiktive deutsche Fürstentum Grünewald, ein „winziges Mitglied des Deutschen Reiches“. Als Lebemann mittleren Alters galoppiert er vor den Regierungsgeschäften davon, in die vermeintlich ländliche Idylle des (ebenfalls fiktiven) Nachbarstaates Gerolstein. Dort genießt er die Naturschönheiten und logiert inkognito bei einer aufmüpfigen Bauernfamilie. Von ihr hört er: Seine Frau wäre die Geliebte seines ostpreußischen Premierministers, der eine Revolution gegen ihn anzettelte und plante, einen Eroberungskrieg zu führen. Er selbst, der Prinz, wäre ein Lügner, Dieb, und geborener Dummkopf. Als Otto nachdenklich in sein Fürstentum zurückkehrt, wird er zunehmend in die Intrigen seines Hofstaates hineingerissen. Schließlich finden Prinz und Prinzessin, entmachtet und völlig verarmt, als Liebespaar wieder zueinander, während der Krieg ausfällt und im Rathaus die Republik ausgerufen wird.Dieses neue Werk bezeichnete Stevenson in seinem Vorwort als „Meisterstück“ – vielleicht, weil es von seinen sonstigen Abenteuergeschichten inhaltlich sehr weit abwich? Das Ende seines Romans war zumindest nicht das Ende seiner Affäre mit Deutschland.Jetzt ist die Zeit, um mit einem Buch Dostojewskis in der Hand zu sterbenVon Irina RastorguevaRussland25.11.2021Der lungenkranke, oft bettlägerige Schriftsteller siedelte 1890 mit seiner Familie wegen des für ihn bekömmlicheren Klimas auf die polynesische Insel Samoa um. Die Gegend hatte er im Jahr zuvor während einer Seereise erkundet und dort ein Grundstück nahe der Hauptstadt Apia gekauft. Als „ein schmuckes und aufwendiges Gebäude, das sehr an einen Pavillon in einem deutschen Biergarten erinnert“, beschrieb seine Frau Fanny das neugebaute Familiendomizil namens „Vailima“ in ihrem Tagebuch. Später errichtete die Familie ein zweites, komfortableres Haus mit dem gleichen Namen.Auf Samoa fand Stevenson deutsche Freunde, wie den aus Neubrandenburg gebürtigen Arzt Bernhard Funk. Freundschaftlich verbunden war er zeitweilig auch mit dem deutschen General-Konsul Oscar Wilhelm Stübel und Max Foss, Kapitän des deutschen Kreuzers „Sperber“.Robert Louis Stevenson in SamoaBridgeman Images/imago Engagement für die indigene Bevölkerung Er sympathisierte aber nicht mit allen Deutschen, welche ihm auf der Insel begegneten. Tagebücher und Briefe des Ehepaares Stevenson zwischen 1890-1894 sowie die essayistische Schrift „Eine Fußnote zur Geschichte. Acht Jahre Unruhen auf Samoa“ von Stevenson offenbaren, dass der Autor in die Bürgerkriege der indigenen Bevölkerung und die Machtkämpfe britischer, US-amerikanischer sowie deutscher Kolonisatoren verwickelt war. Viele ihrer Hauptpersonen, wie die samoanischen Könige Laupepa und Mataafa, die verschiedenen nationalen Konsuln und andere Politiker, kannte er persönlich. Er hatte oft Mitgefühl mit Eingeborenen, die er trotz aller nationaler Unterschiede als gleichwertig gegenüber den im Koprahandel engagierten Europäern und Amerikanern empfand.Er versuchte, zwischen den streitenden Parteien Frieden zu stiften und die „Eiszeit binnen zweier Jahre zu beenden“, unter anderem mit seinem aufklärenden Geschichtsbuch, das er als „Skizze“ bezeichnete. „Schnelligkeit war unerlässlich, sonst könnte sie zu spät kommen, um einem beunruhigten Land von Nutzen zu sein“, heißt es in seinem Vorwort. Dafür trieb er sich selbst an: „Ich muss diese Samoa-Dokumentation beenden – es ist meine verdammte Pflicht“.Amitav Ghosh erzählt von Gewürzen und Gewalt: „Der Fluch der Muskatnuss“Von Sabine RohlfPolitik08.12.2023Ihr Autor charakterisierte darin seine Protagonisten, auch die deutschen, sehr differenziert mit ihren Vorzügen und Schwächen. Seine Buchveröffentlichung wurde, wie er notierte, gefeiert: „In der deutschen Firma (Anm. der Autorin: die Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft in Apia) haben sie mein Samoa-Buch aufgenommen wie Engel“. Mit seinem Stiefsohn wurde er deshalb dorthin zu einem Bankett mit 15 Gängen und „acht Sorten berauschender Getränke“ eingeladen.Politisch brachte Stevensons Publikation aber nicht den erwünschten Erfolg. Der ausgebildete Jurist engagierte sich deshalb weiterhin als persönlicher Vermittler zwischen den politischen Streithähnen, kämpfte mit Feder und Papier in Zeitungsartikeln und Briefen für Gerechtigkeit und Frieden, war dafür von Deportation auf eine andere Insel und Ermordung bedroht und unterstützte rund 20 gefangene indigene Häuptlinge mit Lebensmitteln. In dieser Zeit formulierte der chronisch Kranke seinen Wunsch für sein Lebensende: „Wäre mir nur ein plötzlicher Tod beschieden, welch ein Glück! Ich möchte in den Stiefeln sterben. Im Land der Bettdecken habe ich mich lange genug aufgehalten“.Beerdigung von R.L. Stevenson in Samoa.piemags/imagoSeine Hoffnung erfüllte sich: Am 3. Dezember 1894, als seine Familie gerade das Abendessen zubereitete, brach der 44-Jährige auf seiner Veranda plötzlich zusammen und starb an einer Hirnblutung. Hätte er weitergelebt, wäre er sechs Jahre später Einwohner der neu gegründeten Kolonie Deutsch-Samoa und Untertan des Deutschen Reiches geworden. Ob ihm das gefallen hätte?Ariane Handrock studierte unter anderem Journalistik und Literatur in Hamburg und lebt als freie Autorin in Berlin.Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

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