HomeKulturWie die Krähen vom Görli mit ihrer Angst vor Schusswaffen umgehen Wie die Krähen vom Görli mit ihrer Angst vor Schusswaffen umgehen Blickstudien und experimentelle Verhaltensforschung in Berlins berühmtesten Park erlauben keinen Zweifel: Die Görli-Krähen lassen sich nicht verarschen. Eine Glosse.Ulrich Seidler22.04.2025 10:36 UhrImmer mutig und schlecht gelaunt: Nebelkrähe im AnflugImagoDie Krähen vom Görlitzer Park sind keine eigene Rasse, aber sie haben identitätsstiftende kulturelle Eigenheiten entwickelt. Die Görli-Krähe zeichnet sich durch besondere Spielfreude aus, sie findet dafür genug Material. Ich beobachtete Krähen beim Balancieren auf Kunststoffflaschen, beim Surfen auf Wurstpappen, beim Tauziehen mit einem Rattenkadaver, wobei Letzteres wohl kein Spiel war.Aufgefallen war mir, dass die Krähen ihre Beschäftigung oft unterbrechen, wenn man ihnen seine Aufmerksamkeit zuwendet. Schon wenn der Spaziergänger sein Tempo verlangsamt, fällt dem Vogel das auf und er beobachtet seinerseits seinen Beobachter. In diesem Moment kommt es zu einem Blickdialog auf Augenhöhe, eine persönlich gemeinte Verbindung baut sich auf. Daran ändert auch der erst einmal etwas starre, stets leicht angenervt wirkende Blick der Krähe nichts, der so gut nach Berlin passt: „Wat kiekstn so?“ Die schlechte Laune, die dieser Blick ausstrahlt, will so gar nicht zum unterbrochenen, verspielten und neugierigen Zeitvertreib passen. Wortloses Machtspiel zwischen Mensch und Vogel Man selbst mag als Mensch nach eigenen Begriffen höher kultiviert und nachzugeben imstande sein, aber schließlich ist man auch Berliner. So kommt es, dass ich meinem Drang, diese geflügelten Sauertöpfe ein bisschen zu ärgern, nicht widerstehen kann. Alles gewaltlos, klar, aber angemessen streitlustig. So versuche ich regelmäßig, unser wortloses Machtspiel für mich zu entscheiden und den aufmüpfigen Vogel mit grämlichen Blicken zu Unterwerfungs- oder Fluchtgesten zu bringen.Sie haben uns jahrtausendelang benutzt: Werden diese Vögel bald die Macht übernehmen?Berlin15.11.2023Killerkrähen in Kreuzberg: Es ist schlimmer als bei HitchcockKreuzberg04.06.2024Dabei entdeckte ich, dass sich die Wirkung dieser Einschüchterungsblicke verstärken lässt, indem man mit dem Finger auf den Vogel zeigt. War er bis dahin unbeeindruckt, fährt ihm auf einmal ein Schreck ins Gefieder. Das funktionierte auch auf größere Distanzen, sogar dann, wenn die Krähe sich theoretisch darüber im Klaren sein müsste, dass sie für einen flugunfähigen Menschen außer Reichweite ist. Ha, so schlau bist du nun auch wieder nicht!Mein Gewissen meldete sich, weil mir der Verdacht kam, dass die Krähen vielleicht dachten, dass ich nicht meinen Zeigefinger, sondern eine Schusswaffe auf sie richte. Das setzt voraus, dass sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, Görli-Krähen eben.Bevor jemand versucht, es nachzumachen: Ich musste feststellen, dass es nicht mehr klappt. Ich kann meinen Finger noch so ruckartig und noch so spitzig in die Richtung der Görli-Krähe zücken und pantomimisch sogar den Abzug betätigen, sie bleibt ungerührt. Sie guckt finster und sinnt auf Rache, weil ich sie verarscht habe. Lesen Sie mehr zum Thema KulturBerlinGörlitzer ParkVerhaltensforschung