HomeBezirkeStreit um Radweg in der Berliner Kantstraße: Warum es nicht so schlimm kommt wie befürchtet Streit um Radweg in der Charlottenburger Kantstraße: Müssen in ganz Berlin Hinterhofmieter ausziehen? Würde man den Konflikt auf die Spitze treiben, müsste das bizarre Folgen haben. Doch es wird nicht so schlimm kommen wie befürchtet. Lösungen liegen auf dem Tisch. Peter Neumann23.10.2024 12:38 UhrSicher unterwegs: Nachdem ein Raser 2020 einen 64 Jahre alten Radfahrer getötet hatte, ließ das Bezirksamt in der Kantstraße provisorisch Radfahrstreifen markieren. Für den fließenden Kfz-Verkehr blieb auf den meisten Abschnitten nur ein Fahrstreifen pro Richtung übrig.Sabine Gudath/Berliner ZeitungIst es am Ende nur ein Sturm im Wasserglas? „Da wollte wohl jemand in die Medien kommen“, lautet ein Kommentar. Gemeint ist Christoph Brzezinski, Stadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf. Der CDU-Politiker hat angekündigt, die Nutzung von Wohnungen in der Kantstraße aus Sicherheitsgründen zu untersagen. Damit fachte er die Debatte über die dortigen Radfahrstreifen erneut an. Doch offenbar droht Bewohnern der oberen Geschosse doch nicht die Obdachlosigkeit. Längst liegen für die Umgestaltung der Straße Vorschläge auf dem Tisch – wenn überhaupt eine solche Änderung nötig ist.Der Aufschrei ist groß. Die Kantstraße sei ein „Symbol der grünen Fahrrad-Arroganz“, ist zu lesen. „Zu absurd, um wahr zu sein“, titelte eine andere Zeitung. „Behörden-Irrsinn“, ist eine weitere Einschätzung. Inzwischen wird über die Pop-up-Radwege in der Kantstraße auch auf Bundesebene diskutiert. „Weltfremde grüne Ideologie“, kritisierte Alice Weidel, Bundesvorsitzende der AfD. So viel scheint festzustehen: Berlin ist mal wieder zu dumm – und auch an diesem Übel sind die Grünen schuld. Konkretes Feindbild ist in diesem Fall wieder einmal der Pop-up-Radweg in der Kantstraße.So sieht der Radfahrstreifen in der Kantstraße in den meisten Bereichen aus. Radler bewegen sich am Fahrbahnrand, daneben dürfen Autos parken, die Fahrspur für den fließenden Verkehr befindet sich links davon.Lutz Deckwerth/dpaDie Anwohner sind jedenfalls in Angst: Müssen sie ihre Wohnungen verlassen? Anlass sind Berichte, wonach Stadtrat Brzezinski ab 1. November Verfahren einleiten will, die darauf hinauslaufen, ab dem dritten Obergeschoss die Wohnungsnutzung zu untersagen. Zwar würde das nicht bedeuten, dass sich die Mieter und Eigentümer umgehend andere Domizile suchen müssten, schob der Politiker nach. Doch seine rechtliche Einschätzung sei unverändert. So wie die Kantstraße derzeit aufgeteilt ist, drohe Gefahr für Leib und Leben. Auf diesen rechtswidrigen Zustand müsse nun endlich reagiert werden, hieß es. Auch der Fahrgastverband IGEB und die Polizei kritisieren die Situation Die Radfahrstreifen, die sich zwischen Autostellplätzen und Gehweg an den Fahrbahnrändern befinden, wären zu schmal, um dort Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr aufstellen zu können, so der Stadtrat. Die jeweils einzige Fahrspur, die für den fließenden Verkehr geblieben ist, sei zu weit von den Häusern entfernt, um Drehleitern einsetzen zu können.Höllenfahrt in der U7: Warum ich in Berlin so schnell nicht wieder in die U-Bahn steigeVon Anne VorbringerBerlin20.10.2024In einem hat der Stadtrat für Stadtentwicklung recht: Über die Aufteilung des Straßenraums wird schon lange diskutiert – ohne dass es zu einer Lösung gekommen ist.Neu ist das Thema in der Tat nicht. Vor über vier Jahren, Ende April 2020, begann das Bezirksamt damit, die Radfahrstreifen in der Kant- und der Neuen Kantstraße zu markieren. Der mit 3,6 Kilometer längste Pop-up-Radweg Deutschlands gehörte zu den wenigen Anlagen dieser Art, die in der Corona-Pandemie außerhalb von Friedrichshain-Kreuzberg eingerichtet wurden. Die provisorischen Radspuren sollen das Radfahren auf dieser Hauptverkehrsstraße im Westen Berlins sicherer machen. Dafür hatten Radfahrer demonstriert, nachdem der 64-jährige Bernd Wissmann in Höhe Savignyplatz am 7. März 2020 getötet worden war. Der Autofahrer war viel zu schnell unterwegs. Er bekam erst 2024 eine Strafe: ein Jahr auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung.Berliner Straßen immer gefährlicher: Zahl der Verkehrstoten steigt rasantVon Peter NeumannVerkehr27.08.2024Die beiden Richtungsfahrbahnen der Kantstraße, die durch einen begrünten Mittelstreifen getrennt werden, sind seit 2020 so aufgeteilt: Rechts befindet sich der Radfahrstreifen, in der Mitte dürfen Autos abgestellt werden, links wird gefahren. Schon bald gab es Kritik. Der Fahrgastverband IGEB bemängelte, dass auf den verbliebenen Fahrstreifen die vielen Busse, die dort unterwegs sind, ebenfalls im Stau stehen. Generell geht es um die Frage, ob es richtig sei, Radfahrern so viel Platz einzuräumen. Zuvor hatte es zwei Fahrstreifen pro Richtung gegeben. Zwar wurde auf den rechten Fahrspuren in der zweiten Reihe gehalten oder geparkt. Trotzdem: Die Radwege stören, hieß es. Immer wieder wiesen Polizei und Feuerwehr auf die Probleme in der Kantstraße hin.Nun ist der Streit neu aufgeflammt – und auch die Senatsverkehrsverwaltung äußert sich. „Eine mögliche Lösung wäre, Radfahr- und Parkstreifen zu tauschen“, sagte Petra Nelken, Sprecherin von Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU), der Berliner Zeitung am Mittwoch auf Anfrage. Dafür müssten Markierungen und die Ausschilderung angepasst werden, was unterm Strich keinen allzu großen Aufwand bedeuten würde.Stress mit dem Deutschlandticket: Zustände bei der Bahn „immer schwerer auszuhalten“Von Peter NeumannBerlingesternDie Fachleute in der Behörde fragen sich allerdings, ob die Aufteilung der Kantstraße wirklich verändert werden muss. „Bisher war der jetzige Zustand Konsens“, wird in der Verwaltung berichtet. Zumindest im offiziellen Austausch habe die Feuerwehr stets signalisiert, dass sie keine wesentlichen Probleme sehe. Alles andere wäre auch seltsam, hieß es. Denn wenn man die Maßstäbe überall so eng anlegen würde, dürften in ganz Berlin Seitenflügel und Hinterhäuser nicht mehr bewohnt werden – schließlich seien sie mit größeren Einsatzfahrzeugen ebenfalls nur schwer zu erreichen. In anderen Bundesländern sehe man keine Probleme, wie sie nun in der Kantstraße gesehen werden.Der Vorschlag der Senatsverwaltung lautet nun, die Straße erneut zu begehen. Ein Test vor Ort könnte Hinweise bringen, ob die Situation tatsächlich verändert werden muss, teilte Petra Nelken mit. Auch mit dem Bezirk möchte der Senat eine Einigung erzielen. Stadtrat: Mittelstreifen verschmälern – mehr Platz für die Feuerwehr Es wäre nicht die erste Begehung in der Kantstraße, sagte Oliver Schruoffeneger, Bezirksstadtrat für Ordnung, Umwelt, Straßen und Grünflächen, am Mittwoch der Berliner Zeitung. „Zuletzt waren wir im Mai 2024 mit dem Senat und der Feuerwehr vor Ort“, berichtete der Grünen-Politiker. Dabei wurde eine weitere Lösungsmöglichkeit ins Auge gefasst. Wenn der Mittelstreifen um wenige Zentimeter verschmälert würde, könnten die Fahrstreifen für den fließenden Verkehr breiter ausfallen. Dann gebe es dort mehr Platz, um Drehleiterfahrzeuge im richtigen Winkel aufzustellen, so die Runde.Nächtlicher Protest: Klimaaktivisten markieren Pop-up-Radweg in der Berliner AlleeVon Peter NeumannBerlin01.08.2024„So wurde es bei diesem Ortstermin mit Senat und Feuerwehr abgestimmt“, berichtete Schruoffeneger. Aus Sicht der Beteiligten würde es schon reichen, wenn die Bordsteine, die den Mittelstreifen der Kantstraße begrenzen, um rund 20 Zentimeter versetzt würden. Bäume müssten nicht gefällt werden, so der Stadtrat. Da es sich um eine Hauptverkehrsstraße handelt, müsste die Senatsverwaltung die Maßnahme anordnen.Vorläufiges Fazit: Es gibt Lösungswege, die keine radikalen Maßnahmen wie die Aufhebung der Radfahrstreifen oder den Rauswurf von Anwohnern erfordern. Doch inzwischen hat der Streit um die Kantstraße auch in der Radfahrer- sowie in anderen Bereichen der Klima- und Umwelt-Szene zu erheblichen Aufwallungen geführt. Das Hauptargument dort lautet: Das dargestellte Problem ließe sich ganz einfach lösen, wenn die Autostellplätze links neben den Radfahrstreifen aufgehoben würden. Die Umwelthilfe bot den Behörden an, bei der Entfernung der Parkspur zu helfen. Der Verband hatte 2021 festgestellt, dass der Pop-up-Radweg in der Kantstraße dazu geführt hat, dass sich der Radverkehr verdreifacht hat und der Kfz-Verkehr um 22 Prozent sank.Pollerwahnsinn am Hausvogteiplatz: „Wollen die, dass wir uns gegenseitig umbringen?“Von Ida Luise KrenzlinVerkehr01.10.2024„Die CDU droht lieber damit, Mieter:innen aus ihren Wohnungen zu schmeißen, als Kfz-Stellplätze abzubauen“ – so brachte es Changing Cities auf den Punkt. Stadtrat Brzezinski könnte auch eine weitere Lösung vorschlagen: Wenn die Anwohner auf den Stellplatz vor dem Haus verzichten, dürften sie weiter die Wohnung nutzen. Das müsste wiederum der Senat anordnen – aber dagegen sperre sich seine Parteikollegin, Senatorin Bonde, so Sprecherin Ragnhild Sørensen. Eine ersatzlose Aufhebung der Radfahrstreifen in der Kantstraße würde zudem nicht automatisch dazu führen, dass die Feuerwehr garantiert mehr Platz hat, hieß es weiter. Als dem fließenden Verkehr noch jeweils zwei Fahrspuren pro Richtung gewidmet waren, standen auf der jeweils rechten oft Autos. Müsste in den meisten Wohnstraßen Berlins das Parken verboten werden? Alles in allem unterscheide sich die Situation in der Kantstraße nicht von der in den meisten anderen Orten in Berlin, fasste Changing Cities zusammen. In den zugeparkten Berliner Straßen gestalte sich das Anleitern vielerorts schwierig, für Hinterhaus und Quergebäude sogar unmöglich. „Würde Stadtrat Brzezinski seine Drohung selbst ernst meinen, müsste die Nutzung von allen Wohnungen ab dem dritten Stockwerk im Vorderhaus und von allen Wohnungen im Hinterhof untersagt werden“, gab Sørensen zu bedenken. Diese Diskussion solle aber offenbar nicht aufgemacht werden.Anlieger wollen klagen: Der Tram zum Ostkreuz droht das nächste FiaskoVon Peter NeumannFriedrichshain-Kreuzberg14.10.2024Sie würde auch bald ausufern, wie aktuell ein Blick in die sozialen Medien zeigt. Dort tauchen die ersten Bilder von Berliner Wohnstraßen auf, auf denen abgestellte Autos nur noch eine schmale Gasse lassen – was auch der Stadtreinigung zu schaffen macht. Sollte das Parken in solchen Straßen verboten werden? Das wäre eine flächendeckende Debatte, die erst recht kaum ein Politiker in Berlin will. Nun äußert sich auch die Berliner Feuerwehr Unterdessen signalisierte die Feuerwehr Gesprächsbereitschaft. „Die Berliner Feuerwehr möchte die Verkehrswende positiv mitgestalten. Im Rahmen einer Neuaufteilung des öffentlichen Straßenlandes zeigt sich die Feuerwehr offen für Lösungen, die sowohl den Anforderungen der Verkehrssicherheit als auch den Einsatzzielen der Feuerwehr gerecht werden“, sagte Sprecher Timur Tischler am Mittwoch der Berliner Zeitung. „Beispiele gewinnbringender Zusammenarbeit zeigen, dass auch für die Feuerwehr Vorteile entstehen können, etwa wenn Sondernutzungsfahrspuren von Einsatzfahrzeugen genutzt werden, um Staus zu umfahren.“Eine ganz normale Wohnstraße in Berlin: abgestellte Autos lassen wenig Platz für Einsatzfahrzeuge. Müsste hier das Parken verboten werden?Reto Klar/imagoAllerdings benötige die Feuerwehr Raum im öffentlichen Straßenland, um Einsatzstellen schnellstmöglich zu erreichen und falls nötig den zweiten Rettungsweg sicherzustellen. Aufstellflächen für Hubrettungsfahrzeuge seien besonders wichtig für die Personenrettung, gab Tischler zu bedenken. Mit dieser Option ermögliche die Berliner Feuerwehr die Planung von kostengünstigem Wohnraum. „Sie bringt den zweiten Rettungsweg quasi kostenfrei mit.“So viel steht fest: „Die Berliner Feuerwehr setzt sich sehr für eine konstruktive Zusammenarbeit ein, um die Sicherheit aller Berlinerinnen und Berliner zu gewährleisten und gleichzeitig die Mobilitätswende zu ermöglichen“, sagte der Sprecher. Das lässt Raum für eine neue Diskussion – auch in der Kantstraße. Lesen Sie mehr zum Thema BezirkeBerlinCharlottenburg-WilmersdorfVerkehr