HomeBezirkeStarker Anstieg von Verkehrstoten in Mitte: „Wo alle schneller sind, kracht’s öfter“ Starker Anstieg von Verkehrstoten in Mitte: „Wo alle schneller sind, kracht’s öfter“ Der Bezirk Mitte verzeichnete 2024 die höchste Zahl an Verkehrstoten in ganz Berlin. In einem Fall beginnt bald der Gerichtsprozess. Was muss sich ändern?Katharina Heflik, Catalina Hildebrandt16.04.2025 16:11 UhrZwei Menschen starben bei einem Verkehrsunfall auf der Leipziger Straße vergangenes Jahr.Christophe Gateau/dpaIn Berlin kommt es jeden Tag zu Verkehrsunfällen – im Schnitt etwa 365-mal im vergangenen Jahr. Die Berlinerinnen und Berliner sind es also gewohnt, dass es mal kracht. Doch einige wenige dieser Vorfälle hallen wegen ihrer Brutalität, wegen ihrer Tragik und ihrer Plakativität für die Berliner Verkehrsproblematiken nach. So auch der besonders grausame Fall einer 41-jährigen Frau und ihres vierjährigen Sohnes, die vergangenes Jahr auf der Leipziger Straße getötet wurden.Der Fahrer soll nahe der Mall of Berlin mit der dreifachen Geschwindigkeit der erlaubten Begrenzung unterwegs gewesen sein, als er die Touristin und ihr Kind frontal erfasste. Beide starben später im Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen. Der Fahrer ist vor dem Amtsgericht Charlottenburg angeklagt. Nach Informationen der Berliner Zeitung beginnt der Prozess am 18. Juni.Der Unfall auf der Leipziger Straße reiht sich in einen signifikanten Anstieg von tödlichen Verkehrsunfällen in Berlin ein. 55 Menschen starben 2024 durch Verkehrsunfälle in der Hauptstadt, 2023 waren es noch 33. Mit neun Todesfällen haben sich im Bezirk Mitte mehr Fälle als in allen anderen Bezirken ereignet.„Es gibt leider keine rationale Erklärung dafür, warum es in Mitte so viele mehr sind als im Vorjahr“, sagt Roland Stimpel vom Verein Fuss e.V., Fachverband Fußverkehr Deutschland. Der Bezirk Mitte verzeichnet nicht nur in der Summe die meisten Todesfälle, sondern führt die Statistik mit acht mehr Fällen als im Vorjahr auch im Anstieg an. Stimpel sagt allerdings auch, dass sich solche Anstiege wie die in Mitte noch in den Zufallsbereich einsortieren lassen.Dennoch, mit neun Todesfällen liegt Berlin-Mitte nicht weit hinter den 19 Todesfällen in München, einer Stadt mit etwa 1,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. In Köln mit etwas mehr als eine Million Einwohner waren es 15 Menschen, die im Straßenverkehr ums Leben gekommen sind. Bezirk Mitte: „Tempo 30 macht die Straßen sicherer“ Auf Anfrage der Berliner Zeitung nennt der Bezirk Mitte verschiedene Maßnahmen, die die Verkehrssicherheit verbessern sollen. Mit Nachdruck setze man sich beim Senat für den Beibehalt von Tempo 30 ein, ebenso wie für den Ausbau sicherer Radwege. „Die Unfallforschung zeigt eindeutig, dass Tempo 30 Straßen deutlich sicherer macht – vor allem für Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind“, teilt der Bezirk mit.In Berlin wird immer mehr gerast: Bis der Arzt kommt oder der LeichenwagenBerlin09.03.2025Gericht berät über Fahrverbote in Berlin: „Die autogerechte Stadt ist ein Irrweg“Verkehr02.04.2025Mit Blick auf die Hauptverkehrsstraßen, wie die Leipziger Straße in Mitte, heißt es vom Bezirk allerdings: „Neben den verkehrsberuhigten Bereichen ist aber auch ein leistungsfähiges Hauptverkehrsstraßennetz aufrechtzuerhalten, das dem ÖPNV ein Vorankommen ermöglicht und verhindert, dass Lieferverkehre in das Nebennetz ausweichen.“ Im Fall von Tempo 30, so der Bezirk, würden Hauptverkehrsstraßen den „Zeitvorteil“ verlieren.Die Sorge um den Zeitvorteil geht Hand in Hand mit einem viel genutzten Argument von Kritikern flächendeckender Tempo-30-Regelungen. Die Maßnahme, heißt es oft, würde den Verkehrsfluss auf den Hauptstraßen behindern und den Verkehr in die Seitenstraßen und Kieze umleiten.Ein Phänomen, das der Bezirk Mitte nach eigenen Angaben mit der Einrichtung von Kiezblocks verhindern wollen würde. „Die Kunst ist es, hier mit flankierenden Maßnahmen wie Kiezblocks für mehr Sicherheit zu sorgen und Fehlanreize für Ausweichverkehre zu vermeiden“, teilt der Bezirk mit. Roland Stimpel: „Wo alle schneller sind, kracht’s öfter“ Stimpel entgegnet der Sorge vor einem mangelnden Verkehrsfluss, dass diese Argumentation aus einem Fehlverständnis von motorisiertem Verkehr entsteht. „Verkehrsflüsse, die ungleichmäßig sind, stocken. Wenn aber alle 30 fahren, fließt da genauso viel, wie wenn alle 50 fahren“, sagt Stimpel. „Und da, wo Tempo 30 ist, kann man Zebrastreifen einrichten und hält dadurch nicht mehr alle 200 Meter sinnlos vor roten Ampeln, über die vielleicht gar niemand rüber möchte, die aber gerade so geschaltet sind.“Die weitreichende Umsetzung des Tempo-30-Limits ist auch nach Stimpels Ansicht eine der drängendsten Maßnahmen. „Ein Viertel der Straßen in Berlin haben noch Tempo 50 oder Tempo 60, aber auf diesen Straßen passieren fast dreiviertel aller schlimmen Unfälle“, sagt der Verkehrsaktivist. „Wo alle schneller sind, kracht’s öfter, und wenn es kracht, kracht’s schlimmer.“Messerverbotszonen in Kreuzberg und Wedding: Polizei zieht erste BilanzMitte12.04.2025Schwerer Unfall in Moabit: Junge wird auf Kruppstraße schwer verletztMitte12.04.2025Dass allein der Senat wegen der CDU-treuen autofreundlichen Politik an der Situation schuld sei, so leicht will es sich Stimpel nicht machen. Allerdings sollten die Verantwortlichen strenger durchgreifen. „Wir merken, dass Fehlverhalten häufiger passiert und seltener bestraft wird“, sagt Stimpel.Für den Bezirk Mitte steht ein weiterer Punkt im Vordergrund, der an den tragischen Unfall auf der Leipziger Straße anschließt. Kreuzungen sollen im Bezirk für Fußgängerinnen und Fußgänger sicherer gemacht werden. Es sollen zudem Fahrrad- und E-Scooter-Abstellflächen geschaffen werden, heißt es. „Damit können die Kreuzungen nicht mehr zugeparkt werden und die Gehwege werden wieder frei.“Auch in breiten Radwegen auf Hauptverkehrsstraßen sieht der Bezirk eine Chance: „Das bremst auch den motorisierten Individualverkehr aus und entschleunigt ihn.“ Ob ein Radstreifen den Tod der 41-Jährigen und ihres Sohnes hätte verhindern können, wird nie geklärt werden können. Der Fahrer war mit mutmaßlich 89 Kilometern pro Stunde unterwegs. Bei seinem Prozess im Juni muss er sich wegen zweifacher fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fünffacher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr verantworten. Ein Urteil wird es voraussichtlich am 27. Juni geben. Lesen Sie mehr zum Thema BezirkeBerlinMitteVerkehrPolitikCharlottenburgAmtsgerichtLeipziger StraßeKölnMünchen