PolitikUngarn Peter Magyar: Warum ist Orbans Gegenspieler so erfolgreich? Keno Verseck17.04.202517. April 2025Der ehemalige Fidesz-Anhänger und jetzige Orban-Gegner Peter Magyar ist derzeit Ungarns beliebtester Politiker. Seine Partei Tisza liegt in Umfragen deutlich vor Viktor Orbans Fidesz. Wie gelang ihm das und wer ist er?https://p.dw.com/p/4tFF8Ungarns Oppositionsführer Peter Magyar am 15.03.2025, dem ungarischen Nationalfeiertag, auf einer Kundgebung in BudapestBild: Marton Manus/REUTERSAnzeigeGanz gleich, wo er derzeit in Ungarn auftaucht – die Menschen strömen zu ihm. Sie jubeln, wollen ihm die Hand drücken und Selfies mit ihm machen. Oder ihm sagen, dass es wie bisher nicht mehr weitergehen könne und dass er ihre große Hoffnung sei. Er, den manche in Ungarn in diesen Tagen anhimmeln wie einen Messias – das ist Peter Magyar, 44, Rechtsanwalt aus Budapest, Politneuling und der Mann, der den autoritären Langzeitherrscher Viktor Orban in der Parlamentswahl im Frühjahr 2026 besiegen könnte. Magyar, jugendlich aussehend, meistens gekleidet in Jeans, weißes Hemd und Sneakers, ist laut Umfragen zur Zeit der beliebteste Politiker in Ungarn. Er schafft es regelmäßig, hunderttausende Leute zu Demonstrationen zu versammeln. Seit Wochen befindet er sich auf einer Tour durch Ungarns Städte und Dörfer – anders als Orban, der prahlt, er sei ein „Dorfjunge“ und „Straßenkämpfer“, aber nur selten auf der Straße anzutreffen ist. Menschen jubeln dem ungarischen Oppositionsführer Peter Magyar auf einer Demonstration am 8.06.2024 in Budapest zuBild: Bernadett Szabo/REUTERSMagyars Partei Tisza (Respekt und Freiheit) liegt derzeit in der Wählerpräferenz um bis zu acht Prozent vor Orbans Fidesz (Bund Junger Demokraten). Auch wenn sich das Ende des Systems Orban damit noch nicht abzeichnet, so ist klar: Sehr viele Ungarn sind unzufrieden mit der korrupten und selbstherrlichen Ordnung des Premiers und wünschen sich einen Machtwechsel. Unzufriedenheit mit Orban wächst Viktor Orban amtiert seit 2010 ununterbrochen. Bisher gelang es niemandem, auch nur ansatzweise eine solche Wechselstimmung zu erzeugen wie Magyar. Wie konnte dem Politneuling das gelingen? Unzufrieden sind viele Ungarn mit dem System Orban schon seit längerem. Der Premier und sein Machtzirkel bedienen fast nur ihre Klientel, die etwa ein Drittel der Wählerinnen und Wähler im Land ausmacht. Auf sie sind Steuererleichterungen und andere Finanzgeschenke zugeschnitten, sie bekommen die Posten in Staat und Verwaltung, ihre Firmen profitieren von staatlichen Aufträgen. Alle anderen schlagen sich am System vorbei durch oder leben in prekären Verhältnissen. Entgegen Orbans Rhetorik, dass in Ungarn alles besser sei als anderswo in der EU, ist die öffentliche Infrastruktur großenteils heruntergewirtschaftet – angefangen von schlechten Straßen über vernachlässigte Krankenhäuser und Schulen bis hin zu chaotischen Verwaltungsdienstleistungen. Ausstieg aus dem System Die immer offener zutage tretende Doppelmoral von Orbans nationalistischen und bigotten Propagandaspektakeln war es letztlich, die Peter Magyars Aufstieg begünstigte. Beobachter hatten bereits prognostiziert, dass nicht die linken und liberalen Oppositionsparteien Orbans System bedrohen würden, sondern wohl ein Renegat aus dem Innern des Systems. So kam es auch.Judit Varga, die ehemalige ungarische Justizministerin und Ex-Frau von Peter MagyarBild: Szilard Vörös/EST&OST/IMAGO Vor gut einem Jahr mussten die damalige Staatspräsidentin Katalin Novak und die Fidesz-Listenführerin für die Europawahl, Judit Varga, zuvor Justizministerin, zurücktreten, weil sie einen wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch verurteilten Mann begnadigt hatten, was große öffentliche Empörung auslöste. Es war einer von zahlreichen Fällen, in denen Orban und seiner Partei die permanente Hetze gegen Homosexuelle als angebliche Kinderschänder auf die eigenen Füße fiel. Beispielsweise kam im Herbst 2024 heraus, dass der katholische Priester Gergö Bese, ein lautstarker Fidesz-Propagandist sowie homophober Prediger, der auch Orbans Amtssitz gesegnet hatte, heimlich schwule Gruppensex-Partys besuchte. Peter Magyar, der Ex-Mann der Ex-Justizministerin Judit Varga, gab nach dem Rücktritt der beiden Fidesz-Politikerinnen ein langes Interview, das Millionen sahen und in dem er die Doppelmoral im Orban-System anprangerte. Er hatte bis dahin einige finanziell lukrative, aber politisch unbedeutende Posten im System bekleidet und war ansonsten lediglich der Ehemann an der Seite seiner prominenten Frau gewesen. Die breite Öffentlichkeit kannte ihn nicht. Er habe das Interview gegeben, so Magyar zu seinen Beweggründen, um „aus dem System auszusteigen“, da er die Lügen nicht mehr ausgehalten habe. Als die Regierungsmedien sich kurze Zeit später auf ihn einschossen, entschloss er sich, in die Parteipolitik einzusteigen und für die Europawahl im Juni 2024 sowie für die Parlamentswahl 2026 anzutreten. Geschicktes Polit-Marketing Er „übernahm“ eine existierende Kleinstpartei: Tisza, die einige Jahre zuvor auf lokaler Ebene gegründet worden war, aber keine politische Rolle spielte. Schnell machte er die politische Marke Tisza zu einem PR-Erfolg: Der Parteiname bedeutet abgekürzt nicht nur „Respekt und Freiheit“, sondern ist auch der ungarische Name des Flusses Theiß, der in Ungarns Kultur und Nationalmythologie eine außerordentlich große Rolle spielt. Ungarns Opposition im Aufwind: Magyar fordert Orban heraus To view this video please enable JavaScript, and consider upgrading to a web browser that supports HTML5 video Ein bekannter Slogan auf Magyars Kundgebungen, zu dem im Sprachrhythmus getrommelt wird, lautet: „Die Theiß-Flut kommt!“ Wie stark sie sein könnte, ahnten Orban und Fidesz erstmals bei der Europawahl im Juni 2024. Tisza holte aus dem Stand fast 30 Prozent, Fidesz kam auf 44 und hatte acht Prozent verloren. Magyar betreibt auch sonst ein geschicktes Polit-Marketing. Er hat von Orban und Fidesz deren Rhetorik, Kampagnentricks und die meisten Inhalte übernommen. Wesentliche Unterschiede sind etwa seine proeuropäische Haltung und das Versprechen, dass Ungarn sich der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) anschließen werde. Das verknüpft Magyar mit der Ankündigung, die Korruption konsequent bekämpfen zu wollen und gegen Orban und seine Oligarchen wegen Amtsmissbrauchs und dem Diebstahl öffentlichen Vermögens ermitteln zu lassen. Problematisches Verhältnis zu Journalisten In der Frage der Migration will Magyar die Linie Orbans fortführen – wirft dem Premier aber Doppelmoral vor, nämlich, zehntausende Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Ländern ins Land geholt zu haben. Seine Auftritte haben etwas ähnlich Populistisches wie die von Orban, wobei Magyar darauf achtet, vor allem positive Botschaften zu vermitteln, anstatt permanent gegen andere zu hetzen, so wie es Orban tut. Magyar stellt sich, offenbar erfolgreich, als der ehrliche und bessere National-Konservative dar, dem es ernst ist mit der Einheit der ungarischen Nation. Manchmal wirkt er arrogant und narzisstisch. Zu unabhängigen Journalisten oder zu seiner Rolle als öffentliche Person hat er bisweilen ein ähnlich problematisches Verhältnis wie Orban. Im Juni 2024 verließ er beleidigt eine Live-Sendung des Nachrichten-Fernsehens ATV, weil ihm kritische Nachfragen nicht passten. Kurz darauf warf er das Mobiltelefon eines Unbekannten in die Donau, als dieser ihn bei einer Party filmte. In der von Orban-treuen Medien provozierten Schlammschlacht um seine frühere Ehe veröffentlichte Magyar ein von ihm selbst heimlich aufgezeichnetes privates Gespräch mit seiner Ex-Frau. All das schadete ihm jedoch nicht. Ohne in die Opferrolle zu fallen, gelang es Magyar bisher, sich als Ungarns Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit darzustellen, den das Orban-Regime am liebsten beseitigen würde. Ihm dürfte wohl auch helfen, dass die regierungstreuen Medien tagtäglich in völlig übertriebener Weise gegen ihn hetzen, was selbst vielen Fidesz-Anhängern unglaubwürdig erscheint.Ungarns Premier Viktor OrbanBild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images Magyars neuester „Coup“ war am vergangenen Wochenende (13.04.2025) eine Kundgebung, auf der er die Ergebnisse einer „nationalen Konsultation“ vorstellte – eigentlich eine Erfindung Orbans. Dabei werden Suggestivfragen an die Bürgerinnen und Bürger verschickt. Das Ergebnis ist jedes Mal mit großer Mehrheit genau das, wofür Orban um Zustimmung bittet. Ungarns Regierung lehnt es ab, die Unterlagen unabhängig überprüfen oder zählen zu lassen. Aktuell läuft eine Konsultation über die EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Orban möchte, dass sich die Ungarn dagegen aussprechen. Peter Magyar kam ihm zuvor. Tausende Tisza-Aktivisten fuhren persönlich durch jede ungarische Stadt und Gemeinde und sammelten Umfragen, unter anderem auch zur Ukraine. Das Ergebnis: 58 Prozent der Ungarn sprachen sich für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine aus. Orbans Antwort auf Facebook ließ nicht lange auf sich warten – sie war wie so oft atemberaubend krude: Die „pro-ukrainische Tisza-Partei“ habe einen „Pakt mit Brüssel“ geschlossen, so Orban. Sie lege „die Zukunft Ungarns im Tausch gegen die Macht in die Hände Brüssels“. Das dürfe man nicht zulassen. Keno Verseck Redakteur, Autor, ReporterSchicken Sie uns Ihr Feedback!Ihr FeedbackAnzeige

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