S Kardinalfehler der Corona-Aufarbeitung und die Konsequenzen: Es gibt zwei dringliche Aufgaben! – AktuelleThemen.de

HomeOpen SourceKardinalfehler der Corona-Aufarbeitung und die Konsequenzen: Es gibt zwei dringliche Aufgaben! Kardinalfehler der Corona-Aufarbeitung und die Konsequenzen: Es gibt zwei dringliche Aufgaben! Das Problem: Das Management der Pandemie-Problematik wird nicht als – teilweise dysfunktionaler – kybernetischer Regelkreis verstanden. Die Lösung: Strukturanpassungen.Felix Tretter21.04.2025 16:08 UhrJens Spahn (M.) sitzt 2020 bei einer Pressekonferenz zur weiteren Entwicklung des Coronavirus neben Lothar H. Wieler (r.) und Christian Drosten.Michael Kappeler/dpaDies ist ein Open-Source-Beitrag. Der Berliner Verlag gibt allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.Archimedes, einer der bedeutendsten Mathematiker und Physiker, soll etwa 212 v. Chr. Kreise in den Sand zeichnend vor römischen Soldaten den Ausspruch getan haben: „Störe meine Kreise nicht“, was einen von ihnen so sehr geärgert hat, dass er Archimedes mit dem Schwert tötete. Dieser Spruch bedeutet, dass ein Kreis eine geschlossene Figur ist, abgerundet, ohne Ecken, er symbolisiert Harmonie und dergleichen.Der Ausdruck Kreis wird deshalb auch verwendet, um (geschlossene) Personengruppen zu bezeichnen; etwa von Personen, die etwas gemeinsam haben, unter sich bleiben wollen und andere ausgrenzen. Dieses Merkmal hat Soziologen wie Niklas Luhmann bewogen, soziale Systeme als operationell geschlossene, selbstbezügliche Systeme zu begreifen. Soziale Prozesse, etwa von Eliten, können in diesem Sinne als horizontale Kreise gedacht werden – sie wollen nicht gestört werden.Zum 70. Todestag von Albert Einstein: Das Genie als PazifistVon Karin JansenOpen Source17.04.2025Als vertikaler Kreis in Form eines „Regelkreises“ werden in der Sozialkybernetik, etwa in der Managementkybernetik, soziale Systeme abgebildet. Das Management eines Betriebs ist der Regler und der eigentliche Betrieb das Regelobjekt, wobei betriebliche Messzahlen den Istwert des Funktionierens des Betriebes abbilden.Wenn die Istwerte aufgrund von Störungen von den Sollwerten des Managements zu sehr abweichen, dann werden operative Maßnahmen getroffen, die den betrieblichen Funktionszustand steuern sollen. Dieses Grundmodell lässt sich auf das Gesundheitswesen, aber auch auf das gesamtgesellschaftliche Pandemie-Management anwenden.Menschen während der Corona-Pandemie in der Münchner InnenstadtRalph Peters/imago Von der Politik relativiert Das gesellschaftliche Management der Corona-Pandemie ist im deutschen Sprachraum selten und nur punktuell reflektiert worden. Es wurden restriktive Maßnahmen wie Maskenpflicht im Freien, Schulschließungen, Impfpflicht und dergleichen von der Politik – etwa von Gesundheitsministern – relativiert. Und zwar ungefähr so: „Wir haben es nicht besser gewusst.“ Allerdings liegt der Kardinalfehler dieser punktuellen Aufarbeitung darin, dass das Management der Pandemie-Problematik, also die Corona-Politik, nicht als – teilweise dysfunktionaler – kybernetischer Regelkreis mit wenigstens fünf Komponenten verstanden wird.Erstens: die Bevölkerung als Regelobjekt, dessen Gesundheitszustand von dem Virus als Störgröße gefährdet war und einen zusammenhängenden Systemkomplex bildete.Zweitens: die Wissenschaft, die als gesellschaftlicher Sensor die Istwerte dieses Systemkomplexes abbildete.Drittens: die Politik als Regler, der bezugnehmend darauf bei großen Abweichungen von den kulturell geprägten Sollwerten wie „Gesundheitssicherung, koste es, was es wolle!“ operative Regelungen formulierte, die …… viertens: über die Medien kommuniziert wurden und …… fünftens: über die Organe des Staates und seiner Verwaltung mit Blick auf die Bevölkerung durch die Exekutive operationalisiert, implementiert und sanktioniert wurden.Dieser gestufte Kreisprozess, der über die fünf Jahre nahezu im Wochentakt aktiviert wurde, zeigt für jedes Teilsystem Fehlerquellen, die in Summe zu erheblichen Unter-, Über- und Fehlsteuerungen geführt haben. Das wichtigste Problem besteht darin, dass die Eigendynamik der jeweiligen Teilsysteme zu wenig bedacht und respektiert wurde, sowohl in der Problemsituation selbst wie auch nun in der Aufarbeitungsphase – es fehlt das große Bild des Prozesszusammenhangs.Ärzte und Pflegekräfte betreuen Patienten in einem Behandlungszimmer der Intensivstation in der Universitätsmedizin Rostock, 2021.Jens Büttner/dpa Mangelhafte Beachtung des Mutationspotenzials des Virus Das beginnt schon mit der mangelhaften Beachtung des Mutationspotenzials des Virus, darüber hinaus wurde die Bevölkerung nicht selten wie eine Box mit Billardkugeln und nicht als geschichtetes, selbstorganisiertes, lebendes und vernunftbefähigtes erlebendes System begriffen, das unterschiedliche Risiken der Exposition und darüber hinaus auch Resistenz gegenüber dem Virus aufwies.Dieser Systemkomplex bildet sich im zweiten Subsystem des Regelkreises, nämlich in „der“ Wissenschaft nur unzureichend ab, denn verständlicherweise ist die Sicht der Virologie und der Modellierung eingeschränkt. Denn problementsprechend bei Infektionsepidemien ist im Kern nur medizinisch-klinisches Wissen, das mit verhaltens- und sozialwissenschaftlichem Wissen kombiniert wird, was im Idealfall zur umfassenden Fachperspektive von Public Health führt, die auch die Rolle des Versorgungssystems betrachtet.„Weird Girl Fiction“ – Moderner Feminismus oder problematischer TikTok-Trend?Open Source13.04.2025Wehrpflicht-Debatte: Geld allein wird nicht reichen, um das Problem mit der Bundeswehr zu lösenOpen Source09.04.2025Eine derartige fachliche Ausgestaltung der Beratungsgremien wurde stark vernachlässigt, sodass es bereits auf der Ebene der Corona-Wissenschaft folgenschwere Fehlbeurteilungen gab, die in der Folge in den daran anschließenden Subsystemen Verstärkungen erfahren haben. So wurden Testpositive und Erkrankte nicht unterschieden oder bei Krankenhausaufnahmen und Todesfällen lange nicht zwischen „mit“ und „wegen“ Corona differenziert.Allerdings: Eine kritische Reflexion der Rolle der medizinischen Fächer und Fakultäten, die eigentlich fachlich zuständig wären, ist – zumindest öffentlich – erst im Oktober 2024 an der Stanford University erfolgt.Karl Lauterbach gibt ein Interview, 2021.Christian Spicker/imago Einseitige Darstellung einer komplizierten Sachlage Auf der dritten Stufe des Management-Regelkreises, nämlich der Politik als Regler, stellte sich – hier idealtypisch gedacht – das Problem der vorausschauenden Verantwortung für die kollektive Gesundheit der Bevölkerung bei gegebener Prognoseunsicherheit. Es herrschte daher die menschliche Neigung vor, die Sachlage und vor allem die Handlungsregulierungen zu vereinfachen und zu schematisieren.„Die“ Wissenschaft unterstützte dieses Bild. Dem folgten die meisten Medien als viertes Element im Regelkreis mit einer anhaltend affirmativen und kritikbefreiten Berichterstattung. Und sie agierten mit zum Teil deutlicher Ausgrenzung Andersdenkender, die dann mit dem menschenverachtenden Ausdruck „Schwurbler“ oder „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet wurden, trotz der demokratisch wichtigen Aufgabe der Medien, öffentliche Diskurse auch kritisch-kontrovers zu gestalten. Damit erfolgte eine einseitige Darstellung der komplexen, vielschichtigen Sachlage, die dem intuitiven Erleben beträchtlicher Teile der Bevölkerung entgegenlief. Das wiederum minderte das Vertrauen in die Wissenschaft wie auch in die Politik.Das fünfte Subsystem des gesellschaftlichen Regelkreises sind der Staat und seine Organe, mit der Aufgabe, über Gesetze und Verordnungen die Programme der jeweils amtierenden Politik in der Bevölkerung zu implementieren. Wenn man sich in die Rolle von Akteuren der öffentlichen Verwaltung und insbesondere der Polizei versetzt, dann ist es verständlich, dass man, zumindest anfangs, mit starren Interventionen, wie mit der Messlatte Abstandsmessungen zwischen Menschen in Parks vorzunehmen, vorging: Die öffentliche Verwaltung kann auch nicht besser sein als die Wissenschaft, die das Bild erzeugt, nach dem sich das gesellschaftliche Handeln ausrichten muss. Allerdings besteht das Problem der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen.Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen während einer Kundgebung in HannoverHauke-Christian Dittrich/dpa Subsystemtypische Fehler und Eigendynamiken Es sollte nun deutlich geworden sein, dass die einzelnen subsystemtypischen Fehler und Eigendynamiken durch ihre Überlagerungen zu einer hohen Dysfunktionalität des Corona-Managements führten. Was wäre daher zu verbessern?Es gibt zwei dringliche Aufgaben. Die erste Aufgabe liegt in der Steigerung der Diagnose- und Therapiekompetenz der beteiligten Wissenschaften, was die Bevölkerungsgesundheit betrifft. Denn die daran anschließenden oben dargestellten gesellschaftlichen Subsysteme können – vor allem im Krisenmodus – nicht besser sein als „die“ Wissenschaft. Für eine zukünftige Pandemie müsste der Kreis der wissenschaftlichen Ratgeber fachlich breiter und problemangepasster konfiguriert sein.Selbstverständlich muss die Labormedizin, wie es eben die Virologie ist, eine wichtige Rolle spielen, und die aus den Testungen gewonnenen kollektiven Daten müssen durch eine kompetente Datenanalytik analysiert werden, die allerdings auch die Datenqualität kritisch betrachtet. Im Zentrum der Expertenkreise muss jedoch die Infektionsmedizin stehen, ergänzt durch eine sozialwissenschaftlich akzentuierte Epidemiologie ebenso wie durch Psychologie und Pädagogik.Diese Experten müssen auch gelernt haben, in derartig fachlich heterogenen Gruppen zu arbeiten, sie brauchen also kommunikative Kompetenz und Einfühlungsvermögen, insbesondere wenn Einzelne als Sprecher der Gruppe sich vor den Medien und der Bevölkerung äußern.Ein Mitarbeiter hält in einem Corona-Testlabor der Limbach Gruppe PCR-Teströhrchen in den Händen.Uwe Anspach/dpa Feedbackschleifen von der Bevölkerung zum Staat Es fragt sich, welche Organisation das übernehmen könnte. So wäre ein lebenspraktisch orientiertes Max-Planck-Institut (MPI) denkbar, wie es in den 70er-Jahren das MPI zur Erforschung der Lebensbedingungen der technisch-wissenschaftlichen Welt war.Die zweite Aufgabe besteht darin, dass der operative Bereich dieses Regelkreises, nämlich der Staat und seine Organe (zum Beispiel Gesundheitsämter), Feedbackschleifen von der Bevölkerung zum Staat einrichten. Das wurde stellenweise durch Corona-Bürgerforen verfolgt, durch welche die Sichtweisen und Bedürfnisse der Bevölkerung aufgriffen wurden. Darüber hinaus müsste die öffentliche Verwaltung konstitutiv über eine von der amtierenden Politik ernst zu nehmende Feedbackschleife verfügen, damit die behördlich vorhandene Fachlichkeit Gehör findet – man denke nur an die von der Politik verschwiegenen Protokolle des Robert-Koch-Instituts!Akute Wohnungsnot in Berlin: Was uns diesbezüglich die Geschichte lehrtVon Armin FuhrerOpen Source15.04.2025All diese strukturellen Defizite frustrierten vermutlich beachtliche Anteile der Bevölkerung und führten zur Abkehr von der etablierten Politik. Zusammenfassend ist zu vermuten, dass ein Bild vom großen Regelkreis eines nationalen Pandemie-Managements allen Gesellschaftsgruppen helfen kann, realistischer das Geschehene aufzuarbeiten und in Zukunft nebenwirkungsärmer zu agieren.Felix Tretter ist ehemaliger Klinikleiter, Nervenarzt, Suchtmediziner, Systemforscher und Vizepräsident des Bertalanffy Center for the Study of Systems Science (Wien) sowie Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie (Berlin/Augsburg). Sein Buch „Wissensgesellschaft im Krisenstress. Corona & Co.“ erschien 2022 im Verlag Pabst, Lengerich.Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden. Lesen Sie mehr zum Thema Open SourceBerlinPolitikGesundheitBerliner VerlagBürgerrechteSteuernRatgeberVirusRalph Peters

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