S Jakob Hein: „Die DDR-Psychiatrie war viel besser als die im Westen“ – AktuelleThemen.de

HomeOstdeutschlandJakob Hein: „Die DDR-Psychiatrie war viel besser als die im Westen“ Jakob Hein: „Die DDR-Psychiatrie war viel besser als die im Westen“ Der Schriftsteller und Psychiater Jakob Hein will nicht mehr „über den ganzen Ost-West-Kram“ reden – und tut es dann doch. Ein Gespräch über Drogen, Klapsmühlen und die 90er in der Charité.Anja Reich16.02.2025 05:01 UhrSchriftsteller Jakob Hein: „Mal so eine lässig rausgerotzte DDR-Geschichte wie ‚Kleo‘ schreiben“.Ina Schoenenburg/OstkreuzEigentlich will Jakob Hein das nicht mehr: über die DDR reden und schreiben, über Ost und West, all die Probleme und Vorwürfe. Das hat er bei einer Diskussionsveranstaltung im vergangenen Jahr gesagt, das sagt er jetzt, im Interview, und hinterher sagt er es auch wieder: Irgendwie sei es ihm eher unangenehm, dass er so viel über diesen ganzen Ost-West-Kram geredet habe. Er müsse sich da mehr kontrollieren.Jakob Hein, 53, ist Psychiater, Schriftsteller und Drehbuchautor. Und man kann nur von Glück reden, dass er manchmal seine Bedenken über den Haufen wirft und aus dem „ganzen Ost-West-Kram“ Geschichten macht, so genau recherchiert und so komisch erzählt, dass man denkt, so hätte es sich wirklich zutragen können. Heins jüngstes Buch „Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste“ spielt kurz vor dem Zusammenbruch der DDR und ist in dieser Woche erschienen. Das Interview findet in Prenzlauer Berg statt, wo er wohnt. Jakob Hein: „In der DDR konnte man Medizinalhanf in der Apotheke kaufen“ Herr Hein, der Held Ihres neuen Buches ist Grischa, ein Jungaktivist aus Gera, der in der DDR-Plankommission arbeitet und Cannabis-Handel mit Afghanistan betreibt. Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?Schwer zu sagen, wie solche Geschichten zu mir kommen. Vor 15 Jahren habe ich mal einen ersten Entwurf zu einer Geschichte geschrieben, in der die DDR Cannabis legalisiert und sich damit selbst rettet. Dann habe ich versucht, diese Idee Filmleuten zu verkaufen: Mensch, stellt euch mal vor, so wäre das gewesen. Die Antwort war immer: Weiß nicht so richtig. Ein Produzent hat mir dann den Rat gegeben: Schreib doch erstmal einen Bestseller und dann können wir das auch verfilmen.Das war Ihr Plan? Einen Bestseller über die DDR schreiben und dann einen Film daraus machen?Es hat totalen Spaß gemacht, das zu recherchieren und aufzuschreiben, und es ist ja nicht nur eine DDR-Geschichte. Der Westen kriegt auch sein Fett ab. Heinrich Lummer ist in meinem Buch nicht so viel besser als Erich Mielke. Das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen in Bonn war ein absoluter Schnarchladen. Und die Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion ist einfach ein Fakt; ein Bruderstaat, der nichts herstellt außer Opium und Marihuana. Ich fand das lustig und habe überlegt, wie kann Afghanistan nicht nur Kulisse, sondern möglichst genau beschrieben sein. Wenn man überlegt, wie schrecklich das Schicksal dieses Landes ist.Medizinalhanf in der DDR: „Einfach sagen, ich kann nicht gut schlafen.“Kai Bienert/imagoWas war das Überraschendste, das Sie bei Ihren Recherchen für das Buch herausgefunden haben?Dass Medizinalhanf in der DDR legal war.Aber gab es den denn überhaupt?Es gab Plantival, ein Präparat zum Einschlafen aus dem VEB Arzneimittelwerk Leipzig. Auf der Flasche stand „Medizinalhanf“. Man konnte einfach in die Apotheke gehen und sagen, ich kann nicht gut schlafen, dann hat man das bekommen. Ich habe aber auch herausgefunden, dass der letzte Fahrkartencomputer der DDR so gut war, dass er noch vier Jahre lang von der Deutschen Bundesbahn im Dienst gehalten wurde. Am schwierigsten war, ein altes Kursbuch aufzutreiben, um herauszufinden, wie die Zugverbindungen von Gera nach Berlin waren.Jella Haase in „Kleo“: Das Töten beherrscht sie, aber nicht den DDR-PioniergrußDDR12.08.2022Jenny Erpenbeck: „Man kann nicht immer nur sagen, das ist ein DDR-Bürger, der ist diktaturgeschädigt“Politik04.05.2024Woher kommt Ihre Faszination für diese Dinge?Ich habe mal über Mythen aus der DDR geschrieben, die ich selbst erfunden habe: Dass Erich Honecker einen Ausreiseantrag gestellt hat, um das Ende seines Lebens im Saarland verbringen zu dürfen zum Beispiel. Dazu gehörte auch, dass die DDR überlegt, Cannabis zu legalisieren. Manchmal leide ich darunter, dass ich diese DDR-Geschichten erzähle. Gegen Grischa, also diesen Roman, habe ich mich vier Jahre lang gewehrt. Ich mochte die DDR ja nicht mal besonders. Aber wenn sie dann schon in meinen Büchern vorkommen muss, soll sie auch so bunt sein, wie ich sie erlebt habe, und nicht gleich ein Gulag.Wird sie zu oft wie ein Gulag gezeichnet?Ich will nichts entschuldigen. Das System kommt immer vor in meinen Büchern. Bei mir um die Ecke ist ja „Kleo“, die Serie, geschrieben worden, die Drehbuchschreiber hatten dort in einem Erdgeschoss ihr Büro. Als ich „Kleo“ gesehen habe, war ich ein bisschen neidisch, so eine lässig rausgerotzte DDR-Geschichte, die alle Absurditäten in Kauf nimmt und bei deren Ende nicht jeder Schüler aus der achten Klasse sagen soll: Das war bestimmt ein schlechtes Land.Woher kommt Ihr Widerstand gegen DDR-Geschichten?Ich möchte nicht als letzter DDR-Autor sterben. Ich kann diese Einordnungen nicht ausstehen. Niemand würde Günter Grass als polnischen oder Danziger Autoren bezeichnen.Auch nicht als westdeutschen Autor. Sowieso nicht, weil er ja ein richtiger Mensch ist. Deshalb habe ich mich gewehrt. Jakob Hein: „Der Umgang mit Jenny Erpenbeck macht mich so traurig“ Hat es auch damit zu tun, dass man viel falsch machen kann, wenn man über die DDR schreibt? Jenny Erpenbecks „Kairos“, das mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, wurde vorgeworfen, dass die DDR zu schön beschrieben sei.Der Umgang mit Jenny Erpenbeck macht mich so traurig. Ich kann gar nicht beschreiben, was für eine tiefe Freude ich empfunden habe, als sie völlig zu Recht diesen Preis bekam. Diese Reaktionen gab es auch, als Jochen Alexander Freydank, mit dem zusammen ich Filme und Drehbücher schreibe, 2009 den Oscar bekommen hat. Unser gemeinsamer Freund Kurt Krömer hat zu Jochen gesagt: Das werden sie dir niemals verzeihen. Und so ist es auch gekommen. Jochen hat danach nur einen Kinofilm gedreht. Weil er den Oscar bekommen hat. Das gehörte sich nicht.Die Schriftstellerin und Booker-Prize-Trägerin Jenny ErpenbeckMaria SturmTrifft deutscher Neid Ostdeutsche besonders stark?Es ist, wie Dirk Oschmann es in seinem Buch beschreibt. Ich habe meinen Job in der Charité bekommen, weil ich mich aus Cambridge bewerben konnte, wo ich am Ende meines Medizinstudiums zusammen mit meiner Frau war. Deshalb wurden wir eingeladen zum Jobinterview. Als Ostler eher nicht. Und ich kann mich noch gut an unsere erste Vorlesung Chirurgie an der Charité erinnern. Der Professor legte vor Beginn seine Autozulassungspapiere auf den Overhead-Projektor, um zu zeigen, dass der Vorbesitzer seines Ferrari Diego Armando Maradona war.Auf einer Diskussionsveranstaltung haben Sie erzählt, dass ostdeutsche Frauen nach der Wende in die Charité gekommen seien, um sich dort sterilisieren zu lassen. Weil ihre westdeutschen Chefs das von ihnen verlangt hätten. Genau, sie wollten ihre Bewerbung mit einer Sterilisationsbescheinigung aufwerten, beweisen, dass sie keine Kinder mehr bekommen können. Die Ärztin, die dort gearbeitet hat, hat sie ausgefüllt und unterschrieben, ohne Sterilisation, weil so etwas ja rechtlich unwirksam ist. Das war Anfang der 90er, als es mit der Massenarbeitslosigkeit im Osten losging.Ina Schoenenburg/OstkreuzJakob Heinwurde 1971 in Leipzig geboren, als Sohn des Schriftstellers Christoph Hein und der Dokumentarfilmerin Christiane Hein. Er studierte Medizin in Berlin, Stockholm und Boston, war Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité und ließ sich 2011 mit einer eigenen Praxis in Berlin-Kreuzberg nieder. Hein schreibt Romane, Drehbücher, Theaterstücke. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Prenzlauer Berg. Sein jüngstes Buch „Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste“ erschien 2025 bei Galiani, 256 Seiten, 23 Euro.In der Charité-Fernsehserie, an der Sie mitgeschrieben haben, kommt diese Zeit nicht vor. Es geht darin um die Geschichte und Zukunft der Charité, aber nicht um die 90er. Wissen Sie, was der Grund ist?Ich hab die dritte Staffel mitgeschrieben, die 1961 spielt, wurde dann aber rausgeschmissen, weil wir zu gut recherchiert hatten.Was hatten Sie zu gut recherchiert?Wie die Charité 1961 eigentlich war. Dass die DDR eine geringere Kindersterblichkeit hatte als Westdeutschland, was Inge Rapoports Verdienst war, kein Zweifel. Und Otto Prokop, der Gerichtsmediziner, war so ein völlig verpeilter Österreicher, der einen persönlichen Stasioffizier hatte, Herrn Schlegel, der ihn mit seinem Porsche mit Weißbandreifen überallhin begleitet hat. Und Pfarrer, die ihre Gemeindemitglieder in der Onkologie besucht haben, gab es auch. Alles haben sie in der Serie zum Glück nicht kaputtgekriegt. Für uns war klar, dass die nächste Staffel die 90er-Jahre sind. Aber das haben die sich nicht getraut. Jakob Hein über die Charité in den 90ern: „Wer Ostler ist, ist raus“ Warum nicht?Ich war dann raus, ich weiß es nicht. Aber welche andere Erklärung als Feigheit gibt es denn? Erste Staffel 1888, zweite 1945, dritte 1961. Jeder würde sagen, danach kommt 1989/90, kam aber nicht.Der Charité-Campus im Jahr 1990teutopress/imagoStattdessen kam die Zukunft.Ja, und es ist feige, sich nicht dem zu stellen, was dort wirklich passiert ist, wie man mit der Sense durchgegangen ist und gesagt hat, wer Ostler ist, ist raus. Meinem Chef, Kinder- und Jugendpsychiater, wurde gesagt: Wir wollen die Abteilungen zusammenlegen, und Sie müssen dann gehen. Er hat gesagt: Wieso muss ich gehen? Na ja, wissenschaftliche Leistung, Veröffentlichungen etc. war die Antwort. Er hat seine Liste gezeigt und die von der Westlerin, einer netten Kollegin, die nichts dafür konnte, daneben gelegt. Dann haben sie sich Gründe aus den Fingern gesogen, um ihn loszuwerden.Hatte die DDR-Psychiatrie nicht einen richtig schlechten Ruf?Sie war viel besser als im Westen. Dort war die Psychiatrie ganz schlimm. Da gab es 1976 die Enquetekommission des Deutschen Bundestages zum Zustand der Psychiatrie, die nach drei Jahren zu dem Urteil kam, dass die Behandlung der Patienten im Namen der Menschlichkeit unbedingt kontrolliert werden muss.Was war so schlimm daran?Das waren so richtig die alten Klapsmühlen, bis zu 80-Betten-Zimmer. Und die gab es nur in Westdeutschland. Sie waren unterteilt in „unruhige Männer“, „unruhige Frauen“, „ruhige Männer“, „ruhige Frauen“. Wenn Oma oder Mama verrückt wurden, warst du entweder privatversichert und durftest zum Professor ins Büro. Oder du wurdest von deiner Familie den Berg hochgefahren oder in den Wald oder wo diese Klapsmühlen sonst so lagen.Joachim Meyerhoff: „Armut, Elend, Drogen – das hat mich in Berlin völlig hilflos gemacht“Theater04.11.2024100 Jahre Kriminalgeschichte: Wie Otto Prokop die Charité zu Weltruhm führteBerlin17.10.2021In so einer Klapsmühle ist der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff als Sohn eines Klinikleiters aufgewachsen, er beschreibt das in einem seiner Bücher ziemlich lustig.Ja, aber das ist auch ein bisschen das Problem bei seinen Geschichten. Für ihn war die Psychiatrie ein gallisches Dorf, aber für die Leute, die weggesperrt wurden, war das nicht so witzig.Wie war die Psychiatrie in der DDR?Fortschrittlicher seit 1963/64. Kürzere Liegezeiten und das Ziel war viel mehr, die Leute wieder in die Gesellschaft zu integrieren.Aber gab es nicht in der Psychiatrie der Charité Experimente mit Westmedikamenten an DDR-Patienten, um damit Westgeld zu verdienen?Ja, diese Experimente waren Mist und Teil dieser Prinzipienlosigkeit der DDR. Sobald man fünf D-Mark verdienen konnte, hat man alles gemacht.Und die Psychotherapie in Ost und West, wie war es darum bestellt?Vor dem Nationalsozialismus war Deutschland da sehr fortschrittlich. Aber die meisten Therapeuten waren Juden und sind geflohen oder wurden umgebracht. In der DDR wurden im Leonardschen Sinne Diagnosen gestellt. Das bedeutete, ganz genau alle Symptome zu erfassen und ganz am Schluss eine möglichst differenzierte Diagnose zu stellen. Karl Leonard hatte nicht nur vier, fünf Schizophrenien, sondern mehrere Dutzend unterschieden, was heute echt verloren gegangen ist. In der DDR lehnte man die Klassenunterschiede ab, es gab keine Privatversicherung und so einen normalen menschlichen Impetus, den schon Karl Bonhoeffer eingebracht hatte. Jakkob Hein: „Die DDR-Psychiatrie war deutlich humanistischer“ Wie hat der sich gezeigt?Bonhoeffer ließ die Charité Anfang des 20. Jahrhunderts so bauen, dass es Gärten und Innenhöfe gab, in denen Patienten spazieren gehen konnten. Damit man von diesem Einsperrgedanken wegkommt. Die DDR-Psychiatrie war deutlich humanistischer. Im Westen war die Unipsychiatrie moderner, geprägt von der italienischen Psychiatrie und der holländischen, die total reformorientiert war. Aber die Kliniken in Westdeutschland waren Inseln des Grauens. Meine Kollegin Christine Otto und ich haben versucht, eine Serie oder einen Film darüber anzubieten, weil das ein unbekannter Teil der Geschichte ist, aber das wollte keiner haben. Ist zu düster.Sie haben bei dieser Diskussionsveranstaltung auch gesagt, Sie setzen sich eigentlich nicht mehr auf Podien, in denen es um die DDR geht. Warum nicht?Weil ich das Gefühl habe, das ist so eine Blase, von der keine Impulse ausgehen. Weil sich da vor allem Menschen treffen, die sich gegenseitig bestätigen in ihren Auffassungen.Könnten Sie ein lustiges Buch über diese Nachwendezeit schreiben?Weiß ich nicht. Ich finde „Stern 111“ von Lutz Seiler lustig, ein großes Buch über diese Zeit. Humor ist ja Tragödie plus Abstand. Und der Abstand muss stimmen, das spüre ich eben auch. Manchmal sind es 20 Jahre. Die Grischa-Geschichte fand ich sehr lustig, aber als Film konnte ich sie niemandem verkaufen. Es gab auch noch eine andere Idee: Der BND hat ja zwei Dönerbuden betrieben, um die NSU-Morde aufzudecken. Die hießen ja lange Dönermorde. Ich hab eine Serienkonzeption geschrieben über einen Typen, der diese Buden betreibt und der herausfindet, dass alles ganz anders ist. Ich hab das einer Frau von der Degeto erzählt und die hat gesagt: Werden wir nie machen.Sie machen viel gleichzeitig, sind Arzt, schreiben Bücher und Drehbücher. Waren Sie immer schon so?Ja, war früher viel schlimmer. Vater bin ich ja auch, das war das Wichtigste in meinem Leben 20 Jahre lang, meine Kinder sind aber jetzt groß.Wieviele Stunden schlafen Sie?Sechs.Warum schreiben Sie nicht nur Bücher oder arbeiten nur als Psychiater?Die Arbeit in der Praxis ist so Brot und Butter, das, was die Miete bezahlt, eine relativ große Praxis mit vielen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Das andere ist einfach das, was ich gerne mache, wie ich mich gerne ausdrücke.Was macht mehr Spaß?Kann ich nicht sagen. Therapeutische Arbeit kann sehr beglückend sein und die Arbeit als Schriftsteller anstrengend, wenn Kritiken kommen wie: So ein Scheiß-Buch. Letztes Jahr habe ich eine Übersetzung veröffentlicht, und die eine Negativrezension kenne ich noch im Wortlaut, die ganzen positiven nicht mehr. Bei der Arbeit als Therapeut bekommt man viel positives Feedback, wenn bei Patienten, über die man sich ewig Gedanken gemacht hat, plötzlich ein Quantensprung passiert.Therapiert man sich als Therapeut nicht auch immer ein bisschen selbst und schränkt das nicht die Kreativität ein? Muss man als Schriftsteller nicht sogar ein bisschen verrückt sein?Verrückt sein ist ein schwieriger Begriff, weil er unpräzise ist. Therapeuten haben eher ein entspanntes Verhältnis zu so einem gewissen Anderssein, dass es mich auch an mir selbst nicht stört. Wenn jemand nirgendwo ohne seinen Hund hingehen will, denke ich: Okay, die Person macht das nicht gegen mich. Das ist halt so. Jakob Hein: „Nach der Schule erstmal drei große Bier reingebrettert“ Sie sind, anders als Grischa im Buch, in einer Ost-Berliner Intellektuellenfamilie aufgewachsen. Ihre Mutter war Dokumentarfilmerin, ist Vater ist Christoph Hein, der Schriftsteller. War es schwer, sich für das Buch in eine ganz andere Familie, eine andere Welt hineinzuversetzen?Meine Eltern hatte internationale Kontakte und haben sich in Ost-Berliner Intellektuellenkreisen bewegt. Ich aber war an der Nöldner-Schule an der Grenze von Weißensee zu Hohenschönhausen, wo die Hälfte der Eltern bei der Stasi arbeitete. Die wohnten alle in einer Straße, weil die Stasi ihre Leute auch kontrollieren wollte.Wie sind Sie auf diese Schule gekommen?Das war meine zuständige Russischschule, auf die ich nach der dritten Klasse gekommen bin.Jugendliche im Jahr 1989: „Nach der Schule drei große Bier“.imagebroker/imagoDas heißt, Sie kennen auch ein anderes Ost-Berliner Milieu. Klar, das waren Schulfreunde von mir, die eine ganz normale Kindheit hatten.In Ihrem Buch schreiben Sie über die Drogen der 80er-Jahre: Klebstoffschnüffeln in der Sowjetunion, Alkohol in der DDR, Kiffen, Kokain, Heroin im Westen. Was ist aus medizinischer Sicht das Schlimmste?Klebstoffschnüffeln war schlimm. Duosan Rapid war so eine Marke. Der Effekt ist, dass man einem praktisch mit einem chemischen Hammer über den Kopf schlägt. Grauenvoll. Die größten Rückfallquoten gibt es beim Rauchen. Die sind viel größer als bei Heroin. Es wird immer so getan, als sei Heroin die schlimmste Droge, aber von der Abhängigkeit her ist es eher Rauchen.In der DDR wurde richtig viel geraucht und getrunken. Wie war das bei Ihnen? Viel zu viel. Ich habe immer zu meinen Kindern gesagt: Um Himmels willen, ich habe viel zu viel getrunken, und ich könnte vor Scham in den Boden versinken deshalb. Wir sind nach der Schule in die Kneipe gegangen und haben uns drei große Bier reingebrettert. Völlig bekloppt. Und es wurde ja auch alle Energie darauf verwandt, dass in der Kaufhalle immer Alkohol und Zigaretten stehen.Wann haben Sie das erste Mal gekifft?In New York City 1990. Einfach, weil die Freunde, die ich dort kennengelernt habe, alle Drogen konsumiert haben, und Cannabis war noch das Harmloseste. In der Berliner Studentenszene habe ich es auch kennengelernt, aber ich fand die Kiffer immer langweilig, die saßen in der Ecke, haben geraucht und in sich reingekichert. Wir wollten lieber Action machen, tanzen oder am Fluss noch Bier saufen.Wie hat Cannabis bei Ihnen gewirkt?Beim ersten Mal habe ich so einen totalen Hungerast bekommen, aber alles, was meine Freunde im Kühlschrank hatten, waren Möhren, ein Beutel. Den habe ich aufgegessen. Und ich habe auch so eine Zeitgitterstörung bekommen, eine Stunde wirkte wie ein Tag. Wenn ich schlechte Gedanken bekam, fand ich das sehr unangenehm. Es ist nicht wirklich meine Droge.Finden Sie die Legalisierung von Cannabis richtig?Um Himmels willen, ja, weil die Illegalisierung nichts gebracht hat außer der sinnlosen Überlastung von Strafbehörden. Es gab immer und überall Cannabis. Und wenn wir uns ehrlich machen würden, müssten wir sagen: Als Erstes sollten wir Alkohol verbieten lassen, da kommt es auch viel häufiger zu Psychosen. In Deutschland darfst du in Begleitung deiner Eltern mit 14 Alkohol trinken. Mit 14!Jakob Hein in Prenzlauer Berg: „Die Recherche und das Schreiben hat totalen Spaß gemacht“.Ina Schoenenburg/OstkreuzWieviel trinken Sie heute?Gar nichts mehr.Warum nicht?Ich bin so reingerutscht, habe 2024 alkoholfreien Januar gemacht, wollte dann nicht am 1. Februar trinken, weil man dann so alkoholabhängig wirkt. Dann ging es mir so gut, dass ich am 1. März auch nichts trinken wollte. Ich habe jetzt erstmal gemerkt, wie lange Alkohol wirkt, was es eigentlich für eine Scheißdroge ist.Letzte Frage: Geht Ihr Plan auf, haben Sie ein Filmangebot für Ihr Buch bekommen?Ja, aber darüber kann ich noch nicht reden.Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de Lesen Sie mehr zum Thema OstdeutschlandKulturBerlinDDRAfghanistanDrogenPrenzlauer BergCharitéSowjetunionLeipzig

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