HomeBerlinHitzige Debatte um Turbo-Wohnbauprogramm: „Von Absichtserklärungen bauen sich keine Wohnungen“ Hitzige Debatte um Turbo-Wohnbauprogramm: „Von Absichtserklärungen bauen sich keine Wohnungen“ Ausstellungseröffnung mit Bausenator Gaebler endet in einer hitzigen Debatte über das Turbo-Wohnbauprogramm des Koalitionsvertrages.Yoko Rödel15.04.2025 12:40 UhrEin Symposium zur Ausstellung „Wohnen in Berlin“ mit Charlotte Weber, Christian Gaebler, Reinhard Bünger und Ricarda Pätzold (v.l.) endete in einer Grundsatzdebatte über den Koalitionsvertrag.Yoko Rödel/Berliner Zeitung„Sie werden sich vielleicht fragen, ob wir kein Geld für eine richtige Ausstellung hatten. Tja, was soll ich sagen. Das trifft den Nagel leider genau auf den Kopf“, entschuldigt sich Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, am Freitag bei der Eröffnung der Ausstellung „Wohnen in Berlin“ im Amerikahaus.„Sie sehen ja, wie eng es hier ist, deswegen haben wir die Ausstellung nach draußen verlegt. Immerhin kann sie dadurch rund um die Uhr besichtigt werden.“ Die ersten Gäste verlassen den Raum, draußen randaliert ein Obdachloser – und auch drinnen interessiert sich für die Ausstellung niemand mehr. Denn kaum nehmen die geladenen Podiumsgäste Platz, entflammt eine hitzige Debatte über Berliner Wohnrealitäten und -absurditäten.Indexmiete, Kurzzeitvermietung, Mietpreisbremse: Was der „Neubau-Turbo“ für Berlin bedeutetBerlingesternKommentar zum A100-Brücken-Debakel: „Wer braucht schon eine Autobahn?“Berlin11.04.2025Eigentlich wolle man sich ja über die neue Ausstellung unterhalten, eröffnet Journalist Reinhard Bünger das Gespräch. Aber jetzt müsse er doch die eine oder andere Frage zum neuen Koalitionsvertrag der designierten Merz-Regierung loswerden. Ob er denn mit dem Ergebnis zufrieden sei, fragt Bünger den Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Christian Gaebler (SPD).Dieser zögert etwas, bevor er antwortet. Grundsätzlich biete das angekündigte Turbo-Wohnbauprogramm ja einen „guten Rahmen“. Er begrüße die Verlängerung der Mietpreisbremse und die angekündigte Neubaustrategie. Allerdings gäbe es weiterhin keine zusätzlichen Regulierungsmaßnahmen für besonders angespannte Wohnungsmärkte. „Ich bin nicht für einen Mietenstopp“, so Gaebler, „aber eine Deckelung wäre schon sinnvoll.“ Debatte ufert aus: „Davon bauen sich keine Wohnungen“ Deutlich kritischer äußert sich Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik. Sie wirft der designierten Regierung leere Versprechungen vor: „Was da drin steht, sind reine Absichtserklärungen. Davon bauen sich keine Wohnungen.“ Eine echte Trendumkehr sei nötig – vor allem in der Bodenpolitik. „Wir brauchen eine Bodenwende, anders werden wir die Wohnraumproblematik nicht lösen“, so Pätzold.Die stark gestiegenen Bodenpreise seien neben den Baukosten einer der Haupttreiber für hohe Mieten. „Deshalb muss die Bodenpolitik an erster Stelle stehen.“ Der Mangel an verfügbarem Baugrund sei groß, die wenigen vorhandenen Flächen schwer zu bebauen – und für kostengünstigen Wohnraum kaum geeignet.„Das stimmt so nicht ganz“, entgegnet Gaebler. Die Stadt Berlin verfüge sehr wohl über viele Grundstücke, jedoch dauere die Entwicklung derselben häufigen Jahre. „Es dauert nur viel zu lange, bis gebaut wird. Wir arbeiten nun mit Hochdruck daran, das zu verändern“. Ob das, was gebaut wird, denn auch zu erschwinglichen Preisen vermietet würde, hakt Bünger nach. „Grundsätzlich müssen 30 Prozent aller Neubauten im geförderten Bereich entstehen, bei landeseigenen Neubauten sind es sogar 50 Prozent.“ Eine wenig überzeugende Antwort, findet der Moderator und wechselt das Thema. Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt wächst Auch Charlotte Weber von der Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt äußert sich kritisch zum Koalitionsvertrag. Zwar sei das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Koalitionsvertrag enthalten, eine Reform sei jedoch nicht vorgesehen. „In dem Punkt schließe ich mich Frau Pätzold an. Nur weil etwas da drin steht, heißt das ja nicht automatisch, dass es auch passiert.“Das Gesetz sei zudem ausbaufähig. Die Praxis zeige, dass insbesondere der soziale Status bei der Wohnungssuche eine entscheidende Rolle spiele – hierzu gebe der Koalitionsvertrag keine Lösungsvorschläge. Dabei würden insbesondere Menschen mit sozial schwierigem Umfeld bei der Wohnungssuche benachteiligt: „Sobald da ‚Jobcenter‘ in der Bewerbung steht, sinkt die Chance des Wohnungsbewerbers rapide. Das muss sich schleunigst ändern.“Dit is Berlin: Weil im Amerikahaus kein Platz war, findet die Ausstellung „Wohnen in Berlin“ jetzt im Freien statt. Eines der Schaubilder illustriert, wie Menschen auf der Straße landen – und wird dabei ironischerweise von einem Obdachlosen kommentiert, der nebenan randaliert.Yoko Rödel/Berliner Zeitung Bauen alleine reicht nicht Zum Abschluss wagt Gaebler einen positiven Ausblick und betont, dass trotz aller Umstände auch Fortschritte gemacht würden: „In der letzten Legislaturperiode wurden 50.000 neue Wohnungen gebaut. Man sollte das nicht immer kleinreden. Das ist schon auch eine Leistung“, sagt er.Das Fazit der beiden Damen fällt da wenig positiv aus. Pätzold erwidert, dass der Weg zu einem wirklich funktionierenden und gerechten Wohnungsmarkt noch lang sei. „Nur wenn alle Bevölkerungsgruppen Zugang zu bezahlbaren Wohnraum haben, kann sich das städtische Leben für alle positiv entfalten.“ Auch mit Blick auf die Abwanderung von Familien ins Umland äußerte sie sich besorgt: Ohne eine funktionierende Infrastruktur und Quartiere mit einem generationsübergreifenden Angebot drohe die soziale Durchmischung in Berlin in eine gefährliche Schieflage zu geraten.Weber betont einmal mehr, dass die strukturelle Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt stärker in den Fokus rücken müsse. „Es reicht nicht, nur mehr zu bauen. Wir müssen auch darüber reden, wer Zugang zu diesen Wohnungen hat – und wer systematisch ausgeschlossen wird.“ Lesen Sie mehr zum Thema BerlinSPDAusstellungen in BerlinMietpreisbremseKoalitionsvertragWohnenBauen & WohnenBildungChristian GaeblerLandeszentrale für politische Bildung