HomePolitikGas aus Russland: Sollte Deutschland wieder Gas kaufen? Wir haben die Parteien gefragt Soll Deutschland wieder russisches Gas beziehen? Wir haben die Parteien gefragt Erfolgt der Neustart des profitablen Russlandgeschäfts nach einem Waffenstillstand in der Ukraine? Die Berliner Zeitung hat nachgehakt. Die Antworten: sehr unterschiedlich.Nicolas Butylin16.02.2025 04:57 UhrWelche Partei will wieder Gas aus Russland beziehen? Die Berliner Zeitung hat bei acht Parteien nachgefragt.Roshanak Amini für Berliner Zeitung am WochenendeEine Frage als politökonomisches Pulverfass: Soll Deutschland wieder günstiges Gas aus Russland beziehen? Das Thema, über das derzeit eher in Wirtschaftskreisen als im politischen Berlin debattiert wird, spaltet Gesellschaft und Parteien.Auf der einen Seite locken niedrige Preise und die Hoffnung auf eine dringend notwendige Entlastung für Haushalte und Industrie. Auf der anderen Seite steht ein sicherheitspolitisches Dilemma. Kann, darf oder soll Deutschland, dessen kommende Regierung politisch wohl erneut an der Seite der Ukraine stehen wird, wieder Geschäfte mit Russland machen?Es ist mehr als nur eine energiepolitische Entscheidung. Es ist ein Balanceakt zwischen ökonomischer Vernunft und sicherheitspolitischer Verantwortung. Was wiegt schwerer: der Wunsch nach stabilen Energiepreisen oder die Prinzipien der „wertebasierten Außenpolitik“? Die Antwort darauf könnte die Zukunft Deutschlands und Europas maßgeblich prägen.Ukraine-Transit beendet: Russische Gaslieferungen über TurkStream steigen auf neues RekordhochVon Liudmila KotlyarovaWirtschaft12.02.2025Vor dem Hintergrund eines möglichen Kriegsendes hat die Berliner Zeitung die Außenpolitiker der Parteien gefragt, ob sie – einen Waffenstillstand in der Ukraine vorausgesetzt – die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit Russland befürworten und ob Deutschland in einem solchen Fall auch wieder Gas aus Russland beziehen soll. Wie wollen SPD und Grüne die künftige Russlandpolitik gestalten? Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, will das nicht. „Für uns ist maßgeblich, dass es einen gerechten und nachhaltigen Frieden gibt, der nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg entschieden wird“, sagt er der Berliner Zeitung. „Bislang lässt Russland weder eine Bereitschaft erkennen, seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden und sich auf ernsthafte Friedensverhandlungen einzulassen, noch von seinen aggressiv-imperialistischen Zielen in Bezug auf eine Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur Abstand zu nehmen.“Nils Schmid, 51 Jahre, SPD-Politiker aus Baden-WürttembergSPDSolange sich dies nicht fundamental ändere, so Schmid, sei sowohl die Ukraine als auch Europas Sicherheitsordnung bedroht. „Damit entbehrt es jeglicher Grundlage, um die bilateralen Handelsbeziehungen mit Russland wieder vollständig aufzunehmen“, sagt der SPD-Politiker. „Das wäre erst dann vorstellbar, wenn sich Russland glaubwürdig und endgültig von seinen aggressiven Ambitionen gegenüber der Ukraine und Europa verabschiedet hat.“Sollte es zu einer Waffenruhe zwischen Kiew und Moskau kommen, lehnt Schmid den Bezug russischen Gases ab. „Eine temporäre Waffenruhe, die den gegenwärtigen Status quo festschreibt, bringt noch keinen dauerhaften Frieden. Russlands Streitkräfte erhielten dadurch lediglich eine Regenerationspause, die es Moskau ermöglichen würde, in wenigen Jahren erneut zu versuchen, seine Kriegsziele zu verwirklichen“, so der Sozialdemokrat.Schmid kritisiert eine „jahrzehntelange Abhängigkeit von günstigen Energieimporten aus Russland“ – für Deutschland habe das negative Folgen gehabt. „Das ist spätestens mit dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 deutlich geworden“, so der ehemalige Finanzminister von Baden-Württemberg. „Deutschland hat deshalb seine Lieferquellen erfolgreich diversifiziert.“ Außerdem gehe die Ära fossiler Energieträger – unabhängig vom Ukrainekrieg – unwiderruflich zu Ende. Erdgas sei zwar eine wichtige Brückentechnologie bei der Energiewende, „es wird aber nie wieder den Stellenwert bei der Energieversorgung einnehmen, den es einmal hatte“, so Schmid.Robin Wagener, 44 Jahre, Grünen-Politiker aus Nordrhein-WestfalenGrüneÄhnlich sieht das auch Robin Wagener von Bündnis 90/Die Grünen. „Vorbedingung für die vollständige Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen mit Russland ist die Beendigung des Krieges gegen die Ukraine und die Wiederherstellung der vollen territorialen Integrität des Landes. Die Sanktionen begründen sich aus der aggressiven imperialen Politik Russlands heraus“, sagt Wagener dieser Zeitung. „Erst wenn Russland glaubwürdig zu den Normen und Regeln der europäischen Friedensordnung findet, kann über eine Normalisierung unserer Handelsbeziehung verhandelt werden.“Der Grünenpolitiker, der im Auswärtigen Amt als Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem südlichen Kaukasus, Moldau und Zentralasien fungiert, meint: „Russisches Gas ist nicht günstig – es finanziert den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine.“ Es sei gut, so der Jurist, dass sich Deutschland aus der politischen Abhängigkeit Russlands gelöst habe. „Putin kann seine fossilen Energien heute nicht mehr als Waffe gegen uns einsetzen. Für die Naivität der Vorgängerregierungen hat Deutschland allerdings einen hohen Preis gezahlt.“Nach Stopp des Ukraine-Transits: Gaspreis explodiert am ersten Handelstag 2025Von Lukas KuiteUkraine22.01.2025 Wie sehen das FDP, Union, AfD und Linke? Ulrich Lechte von der FDP, Obmann im Auswärtigen Ausschuss, antwortet ähnlich auf die Fragen zur Russlandpolitik. „Die Bedingung für die Aufhebung der Russlandsanktionen ist ein vollständiges Ende des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und der Rückzug aller russischer Truppen aus ukrainischem Territorium.“ Ein Waffenstillstand, bei dem Russland weiterhin ukrainisches Territorium besetzt halte, erfülle diese Bedingung nicht, sagt der Liberale. „Nichtsdestotrotz würden wir natürlich einen Waffenstillstand als einen ersten Schritt hin zu einer Lösung des Konflikts begrüßen“, so Lechte.Ulrich Lechte, 47 Jahre, FPD-Politiker aus BayernCC-BY-SA 4.0Für die größte Oppositionsfraktion im Bundestag, die Union, äußert sich Jürgen Hardt zur möglichen Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen. „Russland hat in der Vergangenheit Gas als Waffe eingesetzt. Warum sollten wir der russischen Führung unter Putin glauben, dass sich das ändert“, sagt der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. „Putins Kalkül, den Westen zu spalten und durch Energieknappheit wirtschaftlich zu schwächen, ist ohnehin nicht aufgegangen“, meint der CDU-Politiker. Die deutsche Energieversorgung bezeichnet Hardt als „sehr vielfältig“. Der Christdemokrat zur Berliner Zeitung: „Wir sind nicht mehr abhängig von russischem Gas. Das wird auch zukünftig so bleiben.“Jürgen Hardt, 61 Jahre, CDU-Politiker aus Nordrhein-WestfalenCDUTomasz Froelich, AfD-Politiker und Abgeordneter im Europaparlament, ist anderer Meinung. Er befürwortet eine Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit Russland, sofern sie deutschen Interessen dienen. Zudem stellt der deutsch-polnische Politiker fest: „Wir beziehen aus Russland Erdöl und Erdgas, Metalle, Mineralöl- und Kokerei-Erzeugnisse, aber auch Kohle. Nach Russland exportieren wir vor allem Maschinen, Kraftwagen und Kraftwagenteile sowie chemische Erzeugnisse. Selbst 2021 war Russland der viertwichtigste Importpartner sowie der fünftwichtigste Abnehmer deutscher Waren außerhalb der EU.“Tomasz Froelich, 36 Jahre, AfD-Politiker aus HamburgCC-BY-SA 4.0Zur Frage, ob Deutschland wieder günstiges Gas aus Russland beziehen sollte, hat Froelich ein klares Ja. „Wir sollten uns bei der Energiezufuhr einzig nach lukrativen Angeboten ausrichten und keine selbstzerstörerische Sanktionspolitik betreiben. Blockbildungstendenzen schaden der Handlungsfähigkeit unseres Landes und schaden unserer Souveränität, denn souverän ist, wer Alternativen hat“, so Froelich. „Um unsere Industrie zu retten, ist günstige Energie notwendig, und wenn diese aus Russland bezogen werden kann, gibt es kein überzeugendes Argument gegen eine Handelsbeziehung in dieser Hinsicht.“Gegor Gysi, 77 Jahre, Linkspolitiker aus BerlinLinkeGregor Gysi von der Linkspartei lässt mitteilen: „Wenn es endlich eine Waffenruhe und Friedensverhandlungen gäbe, müssten Schritt für Schritt die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland wieder normalisiert werden.“ Deutschland solle sich im Bereich der Energieversorgung nicht in eine einseitige Abhängigkeit begeben. „Das schließt aber bestimmte Energielieferungen aus Russland neben anderen Ländern nicht aus“, so der linke Direktkandidat für Treptow-Köpenick. Gysi fordert jedoch „Schritt für Schritt eine Versorgung mit erneuerbaren Energien“. Freie Wähler und BSW grundsätzlich für Wiederannäherung Die Berliner Zeitung befragte zudem Vertreter der Freien Wähler, die sich ebenso Hoffnungen auf einen Bundestagseinzug machen. Engin Eroglu, Abgeordneter der Freien Wähler im Europaparlament, sagt der Berliner Zeitung: „Wir setzen uns für stabile Wirtschaftsbeziehungen und internationale Zusammenarbeit ein. Sollte es zu einem dauerhaften Frieden (mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine) zwischen der Ukraine und Russland kommen, ist eine vorsichtige schrittweise Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen denkbar, aber an Voraussetzungen zu knüpfen.“In Fragen der Russlandpolitik müsse sichergestellt werden, dass Schritte der Normalisierung der Beziehungen zum Kreml nicht zu Lasten der Sicherheit Europas gehen. „Besonders wichtig ist es, nicht die Fehler der letzten 20 Jahre zu wiederholen und konditionslose Wirtschaftsbeziehungen mit autokratischen Regimen zu pflegen, die zum Beispiel im Sicherheitsbereich entgegengesetzte Interessen als Deutschland und die EU verfolgen“, sagt Eroglu.Engin Eroglu, 43 Jahre, Politiker der Freien Wähler aus HessenFreie WählerEin zentrales energiepolitisches Ziel der Freien Wähler sei es, die Energiesicherheit Deutschlands zu gewährleisten und die Energiekosten hierzulande deutlich zu senken. „Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage ist es von großer Bedeutung, nicht zu stark von externen Energiequellen abhängig zu sein“, so der Wirtschaftsexperte der Freien Wähler. Die Partei setze auf eine breite, diversifizierte Energieversorgung. „Neben den USA brauchen wir dringend weitere Gaslieferanten für Deutschland“, fordert Eroglu.„Darüber hinaus werden wir uns verstärkt für die Entwicklung alternativer und sicherer Energiequellen einsetzen, um einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren. Unter idealen Bedingungen, etwa einer dauerhaft stabilen Friedenslösung in der Ukraine und einer außen- und innenpolitischen Kurskorrektur Russlands, wäre es denkbar, bestimmte Energieträger wieder aus Russland zu beziehen“, erklärt der EU-Abgeordnete.Hohe Gaspreise – Industrie schreibt Brandbrief an von der Leyen: „Zerstört das Vertrauen in Europa“Von Flynn JacobsInternationales12.02.2025Das Bündnis Sarah Wagenknecht ist die jüngste Partei in Deutschland. Sie darauf hofft, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden und in den Bundestag einzuziehen. Angesprochen auf die Russlandpolitik sagt die außenpolitische Sprecherin Sevim Dagdelen: „Das Bündnis Sahra Wagenknecht setzt sich für die Beendigung der selbstzerstörerischen Wirtschaftssanktionen gegen Russland ein. Die Nord-Stream-Eröffnung ist in unserem ureigenen Interesse. Das Vorhaben von Außenministerin Annalena Baerbock, Russland mit einem Wirtschaftskrieg ruinieren zu wollen, ist komplett gescheitert und hat sich als Bumerang für Wirtschaft und Bevölkerung in Deutschland erwiesen.“ Deutschland brauche eine Politik der Entspannung und gemeinsamen Sicherheit in Europa, dazu gehörten auch normale Handelsbeziehungen mit Russland, so Dagdelen.Sevim Dagdelen, BSW-Politikerin aus Nordrhein-WestfalenCC-BY-SA 4.0„Die Gaspreise gehen gerade durch die Decke“, so die BSW-Politikerin. „Wir brauchen dringend wieder preiswertes russisches Gas in Deutschland. Wer weiter den Import per Pipeline blockiert, ist direkt verantwortlich für den weiteren Niedergang der deutschen Industrie“, so Dagdelen. Die Eröffnung der Nord-Stream-Gasleitung sowie die Reparatur der durch „Terroranschläge“ zerstörten Röhren müsse zügig angegangen werden. „Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, aus pseudomoralischen Gründen teureres LNG-Gas in Rekordmenge aus Russland und den USA zu beziehen und zugleich die Pipelines aus Russland geschlossen zu halten“, kritisiert die Bundestagsabgeordnete. Lesen Sie mehr zum Thema PolitikBundestagswahlWirtschaftBerlinBerlin wähltCDUSPDAfDUkraineRussland