HomeEx-Verfassungshüter Papier über Angriffe auf CDU: „Aggressive Haltung linksradikaler Kräfte entsetzt“ Ex-Präsident des Verfassungsgerichts: „Die aggressive Haltung linksradikaler Kräfte entsetzt mich“ In der Asylpolitik muss nationale Gesetzgebung Vorrang vor EU-Recht haben, sagt der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier. Er fordert einen Kurswechsel. Ein Interview.Maximilian Beer, Moritz Eichhorn18.02.2025 08:26 UhrHans-Jürgen Papierimago stock&peopleSeit einigen Wochen fällt der Name Hans-Jürgen Papier oft, man hört ihn in Bundestagsdebatten, Interviews und Talkshows. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts hat sich in die Debatte über die deutsche Migrationspolitik eingeschaltet. Dabei ist Papier schon lange überzeugt, dass die Bundesrepublik an ihren Grenzen auch Asylsuchende zurückweisen kann – die nationale Gesetzgebung gebiete es sogar. Nun bezieht sich die Union um Friedrich Merz auf ihn, wenn sie für ihren strikten Asylkurs wirbt.Im Interview mit der Berliner Zeitung erklärt der Verfassungsrechtler, warum er den Umgang mit irregulärer Migration als Gefahr für die staatliche Ordnung sieht. „Es geht hier um die staatliche Souveränität unseres Landes“, warnt er.Annäherung im Klassenzimmer: Merz gesteht Scholz plötzlich „sympathische Seiten“ zuPolitik13.02.2025Robert Habeck bei Stefan Raab: „Habe das Kanzlerduell nicht gesehen“Politik15.02.2025Herr Papier, dass CDU und CSU für ihre Migrationspläne auch Stimmen der AfD in Kauf genommen haben, gilt vielen als „Tabubruch“. Der SPD-Fraktionschef Mützenich sagte, die Union habe das „Tor zur Hölle“ geöffnet. Wie haben Sie das wahrgenommen?Die Tonlage erschüttert mich. Diese überspitzte, mit schweren Vorwürfen verbundene Rhetorik führt doch auch dazu, dass wir eine sehr starke Konfrontation auf der Straße erleben müssen. Die aggressive Haltung linksradikaler Kräfte, insbesondere gegenüber Wahlkampfveranstaltungen und Gebäuden der CDU, entsetzt mich. Das ist auch auf den Stil der politischen Debatte zurückzuführen. Wer vom „Tor zur Hölle“ spricht, braucht sich nicht zu wundern, wenn auf der Straße ein entsprechender Kampf gegen den Eintritt in die Hölle geführt wird.Sehen Sie in solchen Aussagen eine Aufforderung?So weit würde ich nicht gehen. Denkbar, dass man es in Kauf nimmt, aber das weiß ich nicht. Womöglich entstehen diese Äußerungen aus einer gewissen Emotion heraus, ohne dass man die Folgen richtig abschätzt. Was ja auch nicht gerade von weiser politischer Haltung zeugen würde.epdZur PersonHans-Jürgen Papier, geboren 1943 in Berlin, war von 2002 bis 2010 der Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Papier hat Rechtswissenschaft an der FU Berlin studiert, wo er anschließend auch promovierte. Er war Professor an der Uni Bielefeld und ehrenamtlicher Vorsitzender der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR (UKPV). Seit 1992 lehrt Papier an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er war CSU-Mitglied und wechselte nach seinem Umzug nach Hamburg in die CDU.Die Union wird dieser Tage als Steigbügelhalter für Faschisten bezeichnet. Trifft Sie das als CDU-Mitglied?Mich persönlich tangieren diese Vorwürfe nicht, im Gegenteil. Es entsetzt mich eher, wie eine so große demokratische Partei ins Zwielicht gebracht werden soll.Eines der Hauptargumente der politischen Gegner von Merz’ Migrationsplänen lautet, sie seien mit Europarecht unvereinbar. Woher wissen die Kritiker das, bevor ein Gericht darüber entschieden hat?Das wundert mich auch. Die Debatte wird sehr oberflächlich geführt. Es geht in dieser Frage ja nicht um Grenzschließungen, sondern um Grenzkontrollen und konsequente Zurückweisungen. Sicherlich kann man über die Rechtslage diskutieren, aber das geschieht kaum. Es heißt, dass das sekundäre Europarecht – also Verordnungen, Richtlinien, insbesondere Dublin-III – gebiete, jeder Person, wo auch immer sie herkommt, die Einreise nach Deutschland zu gestatten. Auch wenn ein Asylantrag in Deutschland eindeutig unzulässig wäre. Dieses Narrativ hat sich in der Rechtsliteratur breitgemacht, als die Migrationszahlen insgesamt noch viel niedriger waren, ohne dass diese Auslegung mit überzeugenden Argumenten hinterfragt würde.Sie wünschen sich eine grundsätzliche Diskussion?Ich vermisse in der Politik eine Auseinandersetzung mit dieser Auffassung. Es wird vielfach nicht darüber diskutiert, warum das Europarecht so sei – und ob es unter den heutigen Gegebenheiten anders interpretiert werden muss. Mit der These, dass das Europarecht die voraussetzungslose Einreise erzwinge, die ja faktisch einen nahezu unbegrenzten Aufenthalt nach sich zieht, werden vielfach irreversible Fakten geschaffen. Denn die Rückführungen in die zuständigen Einreiseländer, wie Dublin-III es vorsieht, scheitern in der Regel. Dublin-III ist insoweit dysfunktional und unvollziehbar.„Die Motive, auf diesem europarechtlichen Status quo zu verharren, sind sicherlich unterschiedlich“, sagt Papier.Rainer Unkel/imagoWelche Folgen fürchten Sie?Es geht hier um die staatliche Souveränität unseres Landes. Es kann nicht sein, dass die Bundesrepublik aufgrund sekundären Europarechts eine permanente Überforderung ertragen muss. Das erschüttert die demokratischen, rechtsstaatlichen und auch sozialstaatlichen Strukturen dieses Landes. Diese Destabilisierung kann fatale Folgen haben. In der Bevölkerung kann die Vorstellung überhandnehmen, die Demokratie an sich wäre gefährdet. Wozu wählen wir überhaupt noch den Bundestag, wenn Europarecht alles ohnehin festlegt?15 Jahre nach „Deutschland schafft sich ab“ zieht Sarrazin Bilanz: „Ich habe mich kräftig geirrt“Von Sophie-Marie SchulzPolitik12.02.2025Die vorherrschende Interpretation des Europarechts führt in Deutschland zu einer Migrationspolitik, die seit Jahren von der großen Mehrheit der Menschen abgelehnt wird. Kann das gut gehen?Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Deshalb sagt die Union zu Recht, dass wir nicht am Ende politischer Gestaltung sind. Das Europarecht funktioniert im Hinblick auf die illegale Binnenmigration nach Deutschland überhaupt nicht mehr. Also muss an der regierungsamtlichen Interpretation dieser Rechtsordnung etwas nicht stimmen. Die Menschen merken, auch wenn sie keine Juristen sind, dass europarechtliche Regeln in ihrer jetzigen Handhabung zu ungerechten und widersinnigen Ergebnissen führen.Kann man als Bürger dagegen klagen?Eine solche Popularklage geben unsere Prozessordnungen nicht her. Erforderlich ist, dass eine Bundesregierung, die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen einführt, sich vor den Gerichten, insbesondere dem Europäischen Gerichtshof, mit überzeugenden Argumenten durchsetzen kann. Wer das schon im Voraus als zu riskant abtut, belässt alles beim Alten. Das führt zu weiterer Demokratieverdrossenheit in der Bevölkerung, aber auch zur Ablehnung der europäischen Idee. Es geht nicht um einen Bruch des EU-Rechts, sondern um seine Auslegung, die den Rechtsprinzipien des Grundgesetzes und des europäischen Vertragsrechts Rechnung trägt. Im Übrigen hätten die Unzulänglichkeiten des Sekundärrechts längst durch Rechtsänderungen bereinigt sein können.Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. Die Union sage zu Recht, „dass wir nicht am Ende politischer Gestaltung sind“, meint Hans-Jürgen Papier.Bernd Wüstneck/dpaSie sagen, nach Paragraf 18 des nationalen Asylgesetzes seien Zurückweisungen an der Grenze sogar geboten. Wenn dem so ist, warum wird das nicht umgesetzt? Ist damit die Nichtzurückweisung ein Rechtsbruch?Nun, diese Auffassung habe ich bereits 2015 vertreten. Doch die Regierenden beriefen sich schon damals auf europäische Verordnungen und Richtlinien, wonach entgegen unserer nationalen Gesetzgebung jeder Person die Einreise und die Stellung eines Asylantrags gestattet werden müsse – egal ob sie den schon woanders gestellt hat oder ein Schutzstatus in Deutschland aussichtslos ist. Europarecht verdrängt in der Praxis schon seit Jahren unser nationales Recht. Das halte ich in diesem Punkt für falsch, und ich bin damit nicht allein.Es gibt Menschen, die das anders sehen. Was könnte Ihrer Meinung nach der Grund dafür sein, dass sie europäisches über nationales Recht stellen?Die Motive, auf diesem europarechtlichen Status quo zu verharren, sind sicherlich unterschiedlich. Einige wollen an einer europarechtlichen Auslegung festhalten, die in weniger turbulenten Zeiten geprägt wurde. Doch es gibt auch grundsätzliche Überlegungen und ideologische Gründe, Stichwort „Willkommenskultur“. Einige Leute wollen eine offene, bunte Gesellschaft, in die jeder einwandern kann, der möchte – unabhängig von der Frage, ob er Schutz braucht oder nicht. Und dann gibt es jene, die grundsätzlich immer mehr Europa und keine Nationalstaaten wollen. Ich halte all das nicht für überzeugend. Der Kernbereich unserer staatlichen Souveränität ist nicht verzichtbar.Dabei rühmt Deutschland sich doch gerne seines Rechtsstaats.Wenn das so weitergeht mit dieser vermeintlich rechtlichen Unfähigkeit Deutschlands, illegale Einreisen zu unterbinden, wird das unsere staatliche Ordnung auf Dauer gefährden.Joe Chialo über seine Erfahrungen mit Rassismus und den damit verbundenen SchmerzBerlin12.02.2025Faeser über Koalition mit CDU: „Wir wollen als Sozialdemokratie die Migration reduzieren“Politik12.02.2025In Deutschland hat die Bevölkerung, anders als in den USA, wenig Einfluss auf die Zusammensetzung der Gerichte. In den USA wählen die Menschen einen Präsidenten, der zum Beispiel die Richter am Obersten Gerichtshof nominiert. Trotzdem sind auch deutsche Richter weltanschaulich gefärbt. Sehen Sie da Defizite?Unsere Justiz ist im Hinblick auf die Unabhängigkeit gut aufgestellt, auch weil Richter nicht durch eine Volkswahl oder Ähnliches bestimmt werden. Politik und Verwaltung müssen sich grundsätzlich dem Recht unterwerfen. Urteile müssen befolgt werden. Doch die Gerichtsbarkeit muss den Gestaltungsspieltraum der Politik achten, sie darf ihn nicht zu sehr einengen. Sonst wird aus dem demokratischen Rechtsstaat ein Richterstaat. Das ist ein Balanceakt. Wenn Politik durch Gerichte gemacht wird, ist das keine Demokratie mehr.Wer in Deutschland sozialisiert wurde, ein Verbrechen begeht und dafür verurteilt wird, bekommt nicht nur die Strafe, sondern erfährt fast immer auch soziale Ächtung. Mörder und Vergewaltiger können nicht auf das Verständnis ihres Umfelds hoffen. Was passiert, wenn Menschen aus anderen Kulturkreisen bei Verurteilungen keine solche Ächtung erleben?Diese Akzeptanz unserer Werte muss vor allem bei der Einbürgerung berücksichtigt werden. Unser Asylrecht wiederum ist auf vorübergehenden Schutz ausgelegt. Dieser Schutz muss wieder aufgehoben werden, wenn eine Person in ihrer Heimat nicht mehr bedroht ist. Diese Regelung berücksichtigt auch sozioökonomische und kulturelle Unterschiede. Wenn all das aufgegeben wird und sehr viele Menschen ohne Integrationswillen und/oder Integrationsperspektive bleiben, sorgt das dauerhaft für Spannungen. Das sind dann die Folgen der irregulären Migration, die wir seit nunmehr zehn Jahren angeblich hinzunehmen haben.