S Er zeigte bei der 1.-Mai-Demo eine Deutschlandflagge: Jetzt will Rentner Joachim D. Berlin verlassen – AktuelleThemen.de

HomeBerlinEr zeigte bei der 1.-Mai-Demo eine Deutschlandflagge: Jetzt will Rentner Joachim D. Berlin verlassen Er zeigte bei der 1.-Mai-Demo eine Deutschlandflagge: Jetzt will Rentner Joachim D. Berlin verlassen Ein Mann rollte während des „Revolutionären“ Aufzugs am 1. Mai 2024 in Berlin eine Deutschlandfahne vom Balkon. Er wurde daraufhin mit dem Tode bedroht. Wie geht es ihm heute?Carola Tunk20.04.2025 08:11 UhrFotoillustration: Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: ImagoDer Deutschlandflaggenmann ist enttäuscht. Von Deutschland, und wohl vor allem von den Menschen, die ihm das Leben so schwer machen. Er wirkt enttäuscht von den Deutschen, die ihn dafür hassen, dass ihm die Farben Schwarz-Rot-Gold etwas bedeuten. Der Deutschlandflaggenmann hat schon viel erlebt, doch heute versteht er die Welt nicht mehr. Der Deutschlandflaggenmann will am liebsten weg aus Berlin. Doch das ist nicht so einfach.Der Deutschlandflaggenmann, das ist Joachim D. Jahrgang ’37. Hitler bereitete in seinem Geburtsjahr gerade den Krieg vor, fantasierte von Berlin als Welthauptstadt Germania, um „einem tausendjährigen Volk mit tausendjähriger geschichtlicher und kultureller Vergangenheit für die vor ihm liegende unabsehbare Zukunft eine ebenbürtige tausendjährige Stadt zu bauen“. Albert Speer wurde mit der Neugestaltung Berlins beauftragt. Die Frau vom Deutschlandflaggenmann schläft in dem Zimmer mit Balkon 88 Jahre später ist Joachim D. gerade auf dem Weg ein paar Kleidungsstücke für seine Frau zu besorgen. Sabine hat tags darauf Geburtstag. Sie ist pflegebedürftig und kommt nur zum Schlafen zu ihm. Sabine liegt dann in einem Zimmer mit Balkon. Auf diesen Balkon haben am 1. Mai Chaoten einen Böller geworfen. Sie beschimpften den Deutschlandflaggenmann als „Nazi“.Rückblick: Die sogenannte Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration verlief 2024 durch Neukölln. Die Route führte durch die Fuldastraße, vorbei an dem Haus, in dem Joachim D. seit über 50 Jahren lebt. Ausgerechnet Vermummte vom Schwarzen Block zogen hier gegen 19.30 Uhr vorbei, als Joachim D. eine Deutschlandfahne mit Bundesadler am Balkon aufhing. Einen linksextremen Demoteilnehmer brachte das so auf, dass er einen Böller in seine Richtung warf. Das Feuerwerk explodierte auf dem Balkon vor dem Zimmer, in dem Sabine laut Joachim D. gerade schlief.Die Geschichte um den Anwohner, der bei der Revolutionäre-1.-Mai-Demo eine Deutschlandflagge vom Balkon hing, ging viral.Sebastian Gollnow/dpa„Ein Glück, dass sie (die Balkontür, Anm. d. Red.) zu war. Ein Glück!“, sagt Joachim D. und ist sich sicher:  „Wenn der sich in der Gardine verfangen hätte, dann wär‘ ein Brand entstanden.“ Bei dem Böller blieb es nicht: Später fand Joachim D. Schmierereien und Morddrohungen vor seiner Haustür. „Nazis töten“ stand da. Und: „Hier wohnt ein Nazi.“Haben die Linksextremisten etwa recht? Ist Joachim D. nicht bloß Kriegskind, sondern Hitler-Fan? Trägt er gar  eine Mitschuld für den Eklat am 1. Mai, weil er den Schwarzen Block mit der Fahne provoziert hat? Fragt man den Deutschlandflaggenmann, was ihm Deutschland eigentlich bedeute, sagt er: „Deutschland? Ein schönes Land, aber wer hat es so kaputt gemacht?“In Joachim D.s Wohnung hängen blockierte Pistolen aus vergangenen Jahrhunderten und ein Schwert an der Wand. Aber Devotionalien, die auf Rechtsextremismus schließen ließen, sind im Zuhause vom Deutschlandflaggenmann nicht zu sehen. Neben einem Foto von Joachim D. auf einer Suzuki-Maschine hängt ein Bild von seinem Enkel, einem Soldaten der Bundeswehr.Der war in Afghanistan stationiert. Auf dem Foto ist der junge Mann in Uniform vor den afghanischen Gebirgsketten in Kabul zu sehen. Joachim D. ist froh, dass der Enkelsohn heil zurückgekommen ist, stolz sei er aber nicht, sagt er. Der Enkel habe es wenn dann nur wegen des Geldes machen sollen. Joachim D. erinnert sich auch noch an Zeiten, in denen man den Deutschen sagte, sie sollten nie wieder Waffen führen. „Weil wir so viel Unheil auf der Welt angerichtet haben.“ Heutzutage schrien wieder alle nach Waffen und Krieg, meint Joachim D. Joachim D. scheint sein Land zu lieben, bereit sich selbst oder seine Angehörigen für es zu opfern, scheint er aber nicht zu sein. „Da ist überall mein Schweiß, mein Blut, mit drin“ Joachim D. war Betonbauer von Beruf. Er erzählt, dass er den Reichstag mit ausgebaut hat, damals noch bevor die Regierung von Bonn nach Berlin zog. „Das Europacenter und die ganzen anderen großen Baustellen, da ist überall mein Schweiß, mein Blut, mit drin.“ Dem Deutschlandflaggenmann ist der Tag der Arbeit wichtig. Auf dem Bau bekamen sie an dem Tag immer frei, seien aber trotzdem bezahlt worden. Er und seine Kollegen seien dann mit der Deutschlandfahne marschiert, anschließend in einem Lokal eingekehrt und dann wieder nach Hause gegangen. Das sei im Gegensatz zu heute alles friedlich gewesen.Der 1. Mai gilt schon lange als „Mutter aller Krawallnächte“. Vor allem in den 80er Jahren brannten Barrikaden und flogen Pflastersteine. Läden wurden geplündert. Linksextremisten lieferten sich heftige Straßenschlachten mit der Polizei. In den letzten Jahren ist es vergleichsweise ruhiger geworden in der Stadt. „Das war der friedlichste 1. Mai seit Jahrzehnten in Berlin“, sagte CDU-Fraktionschef Burkard Dregger 2024 im Abgeordnetenhaus.Die Parole „Nazis töten“ wurde an die Wand geschmiert.Berliner ZeitungFür Joachim D. ist es trotzdem zu viel. Früher seien Polizisten noch Respektpersonen gewesen. Da hätt’s auch mal eins mit dem Gummiknüppel gegeben. „Hat sich keiner erlaubt, so Sachen zu machen wie heute. Mein Gott, nein“, meint Joachim D. Den Deutschlandflaggenmann scheint das Erlebnis vom 1. Mai nachhaltig zu belasten. Er hat Angst – auch um seine Sabine.Die Revolutionäre 1.-Mai-Demo hat ein juristisches Nachspiel für den Böllerwerfer – und den alten Mann. Die Polizei hatte ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Joachim D. eingeleitet, weil auf der Flagge ein Adler zu sehen war. Die normale, schwarz-rot-goldene Flagge darf jeder verwenden, die sogenannte Bundesdienstflagge mit Adler nur amtliche Stellen des Bundes. Joachim D. soll also in juristischem Sinne falsch gehandelt haben.Irgendwann bekam der Deutschlandflaggenmann Besuch von Beamten. Das Verfahren sei eingestellt worden. Joachim D. sagt, auf der Flagge sei auch gar nicht der echte Adler zu sehen gewesen. „Den echten bekommst du gar nicht zu kaufen“, sagt der Mann. Seine Flagge habe er in irgendeinem Sportgeschäft in Neukölln gekauft. Überhaupt: Früher sei die Gegend viel mehr beflaggt gewesen. Heute würden hier kaum noch Deutsche wohnen, behauptet Joachim D. Bildstrecke Teilnehmer der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration.Nadja WohllebenDie Polizei marschiert in Höhe der Hasenheide über die Straße.Susanne RostIn Berlin-Kreuzberg sammeln sich Menschen am 1. Mai.Emmanuele ContiniDie Polizei Berlin steht ebenfalls schon für die 18-Uhr-Demo bereit.Emmanuele ContiniAuf der DGB-Demo am 1. Mai in Berlin sind auch Bilder von Engels, Marx und Lenin zu sehen.J. MacDougall/AFPNach der Walpurgisnacht stehen ausgebrannte Amazon-Transporter an der Reinickendorfer Thyssenstraße.Jörg Carstensen/dpaFriedenstaube über den Köpfen der Berliner DemonstrantenChristoph Soeder/dpaEin Teilnehmer mit Gasmaske nimmt bei einer Demonstration linker Gruppen unter in Wedding teil.Christoph Soeder/dpaPolizisten sichern den Zug einer Demonstration linker Gruppen unter dem Motto „Für Frieden und soziale Gerechtigkeit“.Christoph Soeder/dpa„Nie wieder Krieg“ ist neben anderen Parolen bei einer Demonstration linker Gruppen in Wedding zu lesen.Christoph Soeder/dpaEntspannte Stimmung am Boxhagener Platz in Friedrichshain kurz vor Beginn der queer-feministischen Demonstration.Carola TunkBerlin-Friedrichshain: Menschen versammeln sich vor Beginn der queer-feministischen Demo „Take Back The Night“.Emmanuele ContiniAuftaktkundgebung der Demonstration „Take Back The Night“. In Redebeiträgen geht es um den Kampf gegen das Patriarchat.Carola TunkDie „Flinta-Demo“ setzt sich in Bewegung. Männer sind ausdrücklich nicht erwünscht.Emmanuele ContiniDie Demonstration zieht durch Friedrichshain. Etwa 200 Teilnehmende führen den schwarzen Block an der Spitze an.Carola TunkBei der Demonstration „Take Back the Night“ wird Pyro gezündet.Emmanuele ContiniDie Demonstration „Take Back the Night“ wird gegen 23.30 Uhr auf der Warschauer Straße vorzeitig aufgelöst.Emmanuele Contini1 / 17Der mutmaßliche Böllerwerfer Reinhold S. steht im August unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Der Senior erlitt laut Polizei Ohrenschmerzen durch den Knall, lehnte eine ärztliche Behandlung unmittelbar nach dem Vorfall jedoch ab. Joachim D. soll nun in dem Verfahren als Zeuge aussagen – das Schreiben kam Anfang April. Der 88-Jährige möchte da nicht hin – obwohl er muss. „Ich will mit denen nichts zu tun haben“, sagt er. Am 1. Mai, erzählt er, wolle er alles zu machen und dann nur weg . Wenn Sabine nicht krank wäre, würde Joachim D. sogar ganz weg aus Berlin ziehen. Nach Polen in den Wald, wo seine Nichte lebt. Da sei es ruhig, ganz ruhig. Joachim D.: Ich hatte Krebs – wie meine vier Brüder Wie lange der Deutschlandflaggenmann schon in seiner 2,5 Zimmer-Wohnung lebt, kann man im Badezimmer sehen: Das moosgrüne Waschbecken kennen Ältere noch als Trend aus den 80er Jahren. Joachim D. hat das Waschbecken so wie alles andere in seiner Wohnung selbst eingebaut, abgesehen von der Dusche für seine Frau – die kam von der Krankenkasse. Im Wohnzimmer stehen Bilder der Großfamilie in den 40er Jahren, spätere Aufnahmen zeigen seinen Sohn und seine Enkel. Joachim D. zeigt Gemälde  seiner Schwiegertochter, die auf tragische Weise früh verstorben ist. Seine vier Brüder sind ebenfalls schon tot. Ihm selbst hatten die Ärzte gesagt, dass sie nichts mehr für ihn tun könnten, als sie die Metastasen in seinem Hals entdeckten. Wie durch ein Wunder überlebte Joachim D. den Krebs.Das Haus, in dem Joachim D. seit mehr als einem Jahrhundert lebt, hat keinen Fahrstuhl. Seine Frau kann nicht mehr laufen, ist auf den Rollstuhl angewiesen. Das sei abrupt geschehen, von einem Tag auf den anderen, sagt Joachim D. Er habe die Krankenkasse angefleht, eine sogenannte Treppenraupe zu bewilligen, mit der er Sabine nach oben in den ersten Stock und wieder runter bringen wollte – damit sie nicht bloß eingesperrt sind. Seine Frau dauerhaft in einem Pflegeheim unterzubringen, kam für Joachim D. nicht in Frage. Es dauerte Monate bis die Krankenkasse einwilligte, der Sachbearbeiter habe ihm zeitweise sogar Erpressung vorgeworfen.Woker Antisemitismus: Was sich am 1. Mai abspielte, ist bedrohlich und beunruhigendBerlin04.05.2024Berlin: Linksradikale 1.-Mai-Demo steht im Zeichen des Gaza-Konflikts und der RAFBerlin13.03.2025Wer den Deutschlandflaggenmann kennenlernt, sieht die Probleme dieses Landes wie durch ein Brennglas: Eine überalterte Gesellschaft, hohe Pflegekosten und die Brutalität  der anonymen Großstadt, in der dem der Einzelne nur noch wenig Empathie erfährt.Manche Linksextremisten werden alte Männer, die eine Deutschlandflagge vom Balkon herunterhängen wohl auch an anderen Maifeiertagen als Nazi beschimpfen. Doch in dem 1. Obergeschoss in der Fuldastraße in Neukölln lebt Joachim D., der Arbeiter, ein Mann mit Fehlern, ein Vater mit seiner demenzkranken Frau, der Deutschlandflaggenmann. Hier wohnt ein Mensch.Vor dem Haus, in dem der Mann mit der Deutschlandflagge wohnt, finden sich am Tag nach dem 1. Mai Schmierereien.Berliner Zeitung Lesen Sie mehr zum Thema BerlinNeuköllnAlbert SpeerBezirkePolizeiWohnenBauen & WohnenErster MaiSebastian GollnowBurkhard Dregger

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