HomeBerlin-Mitte: Unterwegs im Wahlkampf mit den Linken: „Wollen Sie 150 Euro zurück?“ Unterwegs im Wahlkampf mit den Linken: „Wollen Sie 150 Euro zurück?“ Viele Mieter können 15 Prozent ihrer Nebenkosten zurückfordern. Das ist ein Wahlkampfschlager der Linken. Aber nicht alle wollen ihn hören.Alexander Reich30.01.2025 04:53 Uhr„Auf dem Boden der Tatsachen“: Wahlkämpfer Oskar Beulke und Mieterin Ursula Herold in Berlin-MitteMarkus Wächter/Berliner ZeitungEndlich mal ein Haustürwahlkampf, bei dem es um etwas Handfestes geht. An der Wohnungstür wird den Leuten nicht etwa Frieden versprochen oder Sicherheit, nicht mal Wohlstand – sondern eine Heizkostenrückerstattung von 150 Euro. Und das von einer Partei, der man so viel Bodenständigkeit gar nicht mehr zugetraut hätte.„Hallo, Oskar von der Linken“, sagt Oskar Beulke von der Linkspartei an den Wohnungen in der Karl-Marx-Allee 25. „Ich bin hier wegen so ’ner Heizkostensache“. Der zehnstöckige Plattenbau am Kino International hat schon bessere Tage gesehen – auf dem Dach sieht man Reste von Werbeaufstellern –, ist aber einigermaßen in Schuss. Zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz stehen mehrere solcher Blöcke, zu beiden Seiten der 90 Meter breiten Allee.Olaf Scholz im Festsaal Kreuzberg über Merz’ Migrationsvorstöße: „Das macht alles kaputt“Von Len SanderBezirke•gestern Manchmal heißt es nur: „Muss ich mal gucken“ All diese Hochhäuser gehören der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM). Diese war zuletzt wegen unsauberer Mieterhöhungen im Gespräch. Sie schlug zum Beispiel Geld für eine „Citylage“ drauf, die es gar nicht gibt. Wer widersprach, bekam es korrigiert. Aber die meisten zahlen einfach.Auch in der Karl-Marx-Allee 25 sind die Leute, bei denen Beulke klingelt, ziemlich reserviert. Sie schauen durch den Spion, lassen die Kette rasseln und schlagen dem Linken die Tür dann gleich wieder vor der Nase zu: „Kein Interesse, Danke.“Manchmal heißt es nur „Möchte ich nicht.“ Oder: „Muss ich mal gucken.“ Und dann wird gestarrt, bis der Eindringling weiterzieht und der Mieter in seinen Kokon zurückkriechen kann. Beulke sagt, dass die Stimmung oft im ganzen Haus ähnlich sei. Entweder gut. Oder wie hier.Beatrix von Storch in Karlshorst: Und dann fällt plötzlich das Wort „Nazifrau“Von Robert HorvathPolitik28.01.2025 Schwierig, zu den Leuten durchzudringen Der 31-Jährige ist von Beruf Jurist und einfaches Parteimitglied. Er trägt eine Warnweste der Partei über seinem Hoodie von Hoolywood – eine Marke für kommunistische Mods. Der gleichnamige Laden an der Schönhauser Allee hat zum Jahreswechsel dichtgemacht. Die Miete.In der Karl-Marx-Allee 25 scheint die Verdrängung noch nicht so weit fortgeschritten. Im vierten Stock hat Beulke sein erstes Gespräch. Ihre Nebenkostenabrechnung komme erst noch, erklärt ihm eine ältere Dame. „Und die von 2023?“ – „Muss ich erst gucken, wo ich die hab.“ Wenn sie gefunden sei, könnten sie gemeinsam draufgucken, schlägt Beulke vor. „So holterdiepolter wird das nichts“, erhält er zur Antwort.Den Hinweis auf die Möglichkeit, das Schreiben im Internet hochzuladen und überprüfen zu lassen, hält Beulke kurz. Sie nickt skeptisch. Er rückt das Basecap der New York Yankees auf seinem Kopf zurecht und lädt die Frau zu einer Mieterversammlung am 31. Januar im Rathaus Mitte ein, nur 100 Meter weiter. „Da bin ick im Krankenhaus.“ Beulke verabschiedet sich: „Gute Besserung.“So griffig der Ansatz dieses Haustürwahlkampfs ist, so schwer scheint es, zu den Leuten durchzudringen. Sie haben wahrscheinlich alle einen gesetzlich einwandfreien Anspruch auf 150 Euro Rückerstattung von Nebenkosten. Es gibt auch schon die ersten Erfolgsmeldungen. Die ersten Rückerstattungen sind eingegangen.„Die Stimmung ist oft im ganzen Haus ähnlich“: Oskar Beulke (2.v.l.)mit Wahlkampfkollegen vor dem Rathaus Mitte.Markus Wächter/Berliner ZeitungAllein in den WBM-Blöcken an der Karl-Marx-Allee sind etwa 450 Wohnungen betroffen, und das sind längst nicht die einzigen in Berlin. Aber zumindest am Alex scheinen viele Mieter das Wort „Nebenkosten“ nicht hören zu wollen. Und wenn dann einer noch von „Heizkostenverordnung“ anfängt, wird es ihnen endgültig zu kompliziert.Dabei ist es recht einfach: Diese Verordnung schreibt seit 2014 vor, dass Heizkosten in Objekten mit zentralen Anlagen so zu verteilen sind, dass jeder nur zahlt, was er tatsächlich verbraucht hat. Wer sparsam heizt, soll etwas davon haben. „Das weiß einfach kaum einer“, sagt Beulke. Einladung zur Mieterversammlung im Rathaus Um die Kosten korrekt zu verteilen, braucht es Wärmemengenzähler. Die hat die WBM an der Karl-Marx-Allee offenbar nicht installiert. Beulke und seine Wahlkampfkollegen hatten in den Blöcken bisher „sieben, acht Treffer, wie wir das nennen“. Also Nebenkostenabrechnungen, die zur Rückforderung von 15 Prozent berechtigen.Die Treffer waren über die Blöcke verteilt. Alle sind ähnlich alt und in einem ähnlichen Zustand. Es ist wohl in den 450 Wohnungen überall dasselbe. Darum die Mieterversammlung. Beulke und Kollegen würden gern Hunderte Mieter „in einem Rutsch“ aufklären.Im fünften Stock in Nummer 25 ist endlich jemand zum Plaudern aufgelegt. Ursula Herold ist Anfang 80, aber gerade erst eingezogen. Sie hat die Wohnung von ihrer Tochter übernommen, die nun auf einem „riesigen Waldgrundstück“ lebe. Um Nebenkosten hat sich die rüstige Dame noch nicht gekümmert. Sie scheint das in nächster Zeit auch nicht vorzuhaben, so „interessant“ sie findet, was Beulke ihr da erklärt.Sie sei ein „eher korrekter Mensch“ und mit der WBM ganz zufrieden, meint sie, als er fertig ist. Die WBM sei mit ihren Mieten „zumindest auf dem Boden der Tatsachen geblieben“. Den Zettel mit der Einladung zur Mieterversammlung nimmt Frau Herold mit freundlichem Dank entgegen. Dass sie kommen wird, scheint eher unwahrscheinlich.Beulke hatte schon Häuser mit anderen Stimmungen. Beschimpft wurde er noch nie. Einmal hat ein Mann um die 50 eine Tirade gegen die WBM abgefeuert. Was die nicht alles unterlasse! Sie mache immer nur das Mindeste, wenn überhaupt. Ein Mann mit dem Bewusstsein, Rechte zu haben. Beulke hat sich darüber sehr gefreut.Noch etwas mehr vielleicht über die „sehr alte, schon etwas vergessliche“ Mieterin, die sich zur Parteizentrale aufgemacht hat. Am Tag nach dem Gespräch an ihrer Wohnungstür. Mit ihrer Abrechnung. Es fehlte etwas. Darum sind ein paar Leute noch mal hin. Inzwischen ist die Rückforderung gestellt.Auch wenn das für viele Senioren nicht infrage kommt: Man kann seine Nebenkostenabrechnung gut online prüfen lassen. Die Kampagnenabteilung der Partei hat dafür extra „ein Tool aufsetzen lassen“, wie Beulke erklärt. Man findet es unter „Heizkostencheck“.„Nur noch Bürgergeldempfänger hier“: CDU-Wahlkampf erhitzt Gemüter in LichtenbergVon Alexander ReichBezirke27.01.2025 Heizkostenabrechnung: Schauen Sie nach dieser Formel Der Anstoß zur Kampagne sei von Mitgliedern der Partei in München gekommen, erklärt er. Die haben dort schon vielen Mietern zu etwas mehr Geld verholfen. Womöglich waren die Münchner leichter davon zu überzeugen, berechtigte Forderungen zu stellen, als die Leute an der Karl-Marx-Allee.Weil nicht nur dort Wärmemengenzähler fehlen, kann sich der Blick in die Nebenkostenabrechnung für jeden mit Zentralheizung lohnen. Ein erster Anhaltspunkt ist die Formel Q = 2,5 x V x (tw-10). Taucht sie in der Abrechnung auf, stehen die Chancen gut.Mit ihr werden Heizkosten auf die Mieter verteilt, wenn ein Zähler fehlt. Das ist seit 2014 nur erlaubt, sofern die Messung mit einem „unzumutbar hohen Aufwand“ verbunden wäre. In der Regel ist das nicht der Fall. In der Regel gibt es 15 Prozent der Nebenkosten zurück. Man kann die 15 Prozent nur ein Jahr lang zurückfordern Wie gesagt: Die Kampagne von Beulke und Kollegen hat ersten Mietern zu Rückzahlungen verholfen. Maja Lindner wohnt in einem flacheren Plattenbau hinter dem Café Moskau und hat zwei Tage nach ihrem 78. Geburtstag ein freundliches Schreiben von der WBM erhalten. Selbstverständlich werden ihr die eingeforderten 153,94 Euro zurücküberwiesen.Bei Lindner hat niemand geklingelt. Eine Freundin hatte ihr eine Mail der Linkspartei weitergeleitet. Lindner lud ihre Abrechnung im Tool Heizkostencheck hoch. Der Rückruf der Partei kam schnell. Nach anderthalb Wochen folgte ein Musterbrief für die Rückforderung. Sie habe als Juristin noch ein paar Paragrafen eingefügt, sagt sie.Die Rückmeldung der WBM habe sie „richtig gefreut“. Erst dachte sie, wenn das Gesetz seit 2014 gilt: Was da für Rückforderungen auf die Wohnungsbaugesellschaft zukommen müssen! Aber sie hat das nachgeguckt. Zwölf Monate nach Eingang der Abrechnung ist die Frist für Widersprüche abgelaufen. Man kann die 15 Prozent also nur für das letzte Jahr zurückfordern.„Richtig gefreut“: Maja Lindner mit der Bestätigung, dass sie 153,94 Euro zurückerhältMarkus Wächter/Berliner ZeitungDie Kollegen Juristen in der Rechtsabteilung der WBM hätten „bestimmt gewusst“, welche Rückforderungen drohen. Davon geht Lindner aus. Die Kampagne von Beulke und Co. dürfte bei der WBM allerdings nicht einkalkuliert sein.Lindner hat mittlerweile zwei Nachbarinnen in ihrem Haus davon überzeugt, sich die 150 Euro zurückzuholen. Die eine habe ihr von unten alle Papiere heraufgebracht, auch wenn sie kaum laufen könne. Die andere habe zunächst Angst gehabt, Ärger zu machen. Als Lindner ihr den Brief mit der Bestätigung des Anspruchs zeigte, war sie überzeugt. Mehr als 150 Euro! Lohn der Mühe: Eine Wählerin in der Zwickmühle Die Angst, den Vermieter zu verstimmen, ist verbreitet. Man hört ja genug über unbezahlbare Wohnungen, sitzt am kürzeren Hebel und landet am Ende auf der Straße. Da zahlt man lieber überhöhte Nebenkosten. Beulke und Kollegen müssen viele Mieter erst mal dazu bringen, allen Mut zusammenzunehmen.Dass sich die Mühe lohnt, zeigt das Beispiel Maja Lindner. Die 78-Jährige war einst der PDS verbunden, aber mit der Linkspartei war sie durch. Der „woke Quatsch“ geht ihr auf die Nerven. Und dass diese Partei das Migrationsproblem nicht sehen will. Normalerweise hätte sie in vier Wochen BSW gewählt.Aber der Haustürwahlkampf mit den Heizkosten hat sie an die „Kümmerer-Partei“ von damals erinnert. Mit ihrer Rechtsberatung für die kleinen Leute. Darum ist Maja Lindner nun, was die Wahl angeht, in der Zwickmühle. Mehr konnten Beulke und Kollegen kaum erreichen.