HomeBerlinVerlorene Talente: Warum ausländischen Fachkräften mit Job die Ausweisung droht Verlorene Talente: Warum ausländischen Fachkräften mit Job die Ausweisung droht Mitarbeitern aus Drittländern wird von Behörden regelmäßig die Aufenthaltsgenehmigung verweigert – trotz Arbeitsvertrag. Schlecht für die Berliner Wirtschaft. Was steckt dahinter?Cedric Rehman29.01.2025 aktualisiert am 29.01.2025 – 12:16 UhrFürstenwalde, Brandenburg: Ein Mann aus Somalia, der zuvor als Schweißer ausgebildet wurde, arbeitet in einer Firma an einem Stahlsegment.Patrick Pleul/dpaAgung Setiawan erzählt mit sanfter Stimme von einer kafkaesken Odyssee durch den deutschen Behördendschungel. Er muss manchmal sogar lachen. Als könne er selbst kaum glauben, was er in Deutschland erlebt hat. Und wie er um eine Aufenthaltsgenehmigung kämpfen musste.Der Indonesier hat in Hamburg ein Studium der Sprach- und Kulturwissenschaften abgeschlossen. Er fand einen Job als Hotelmanager. Setiawan ging mit seinem Arbeitsvertrag zur Ausländerbehörde. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass ein Willkommenszentrum für ausländische Fachkräfte für ihn zuständig sei.Die dortigen Mitarbeiter schickten ihn wieder zur Ausländerbehörde zurück. Sein Einstiegsgehalt von 2500 Euro brutto im Monat unterschreite die Anforderung für eine Blue Card. So nennt sich das EU-Dokument, das insbesondere hoch qualifizierten Drittstaatlern den Aufenthalt zur Erwerbstätigkeit gestattet.Licht an für die AfD: Das sind die Nebenwirkungen der „Remigration“Berlin21.01.2025Debatte um syrische Fachkräfte: Sind sie wirklich unverzichtbar? Das sind die ZahlenBerlin20.12.2024Auch die Mitarbeiter der Hamburger Ausländerbehörde monierten, dass das Einstiegsgehalt des Indonesiers um 300 Euro zu niedrig für eine Aufenthaltsgenehmigung sei. Außerdem sei nicht ersichtlich, was ein Kulturwissenschaftler zum Hotelmanager qualifiziere.Setiawan besorgte sich eine Bescheinigung seiner Universität über im Studium erworbene Sprachkenntnisse und Fähigkeiten zum kultursensiblen Umgang mit Hotelgästen aus aller Welt. Sein Arbeitgeber erhöhte das Einstiegseinkommen um die gewünschten 300 Euro. „Sie wollten mich unbedingt haben und sagten mir, dass sie mich in allem unterstützen werden“, erzählt Setiawan.Dennoch kam kein grünes Licht von der Ausländerbehörde. Weitere Spezifizierungen im Arbeitsvertrag zum Ausgleich für Überstunden wurden verlangt und vom Arbeitgeber erbracht. Doch von der Ausländerbehörde kommt seit Monaten keine Reaktion. Die Sacharbeiter scheinen vom Erdboden verschluckt zu sein. Wenn trotz Arbeitsvertrag die Ausweisung droht Setiawan hat sich an die auf Ausländerrecht spezialisierte Berliner Anwältin Magdalena Bernhardt gewandt. Sie erreichte nun zumindest, dass Setiawan einen Urlaub mit seiner Tochter antreten kann. „Die Behörde hatte mir gesagt, ich könne wieder nach Deutschland einreisen, aber nur ohne meine Tochter“, erzählt er. Der Indonesier behält seinen echten Namen für sich. Er will Ärger mit den deutschen Behörden vermeiden. Die Ungewissheit nage an ihm, sagt er. „Mich wundert das sehr. In Indonesien ist die Verwaltung digital. Wer einen Antrag stellt, kann den Status der Bearbeitung verfolgen und wird informiert, in welcher Frist ein Bescheid erfolgt“, sagt Setiawan.Laut Magdalena Bernhardt ist ihr Hamburger Mandant nur einer von vielen ausländischen Fachkräften, denen trotz Arbeitsvertrag die Ausweisung droht. Ausländerbehörden seien die Hände gebunden. Das von der Ampel-Regierung 2023 reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz sieht eine Prüfung der Arbeitsverhältnisse und Löhne durch die Bundesagentur für Arbeit vor.Erst dann können Ausländerbehörden die Aufenthaltsgenehmigung erteilen. Die Nürnberger Behörde zieht dabei einen Entgeltatlas zurate, der Mindestgehaltsforderungen für bestimmte Berufe enthält. Die Rechtsanwältin kritisiert die Kriterien der Bundesagentur für Arbeit als intransparent.Früherer SAP-Personalchef: „Glückliche Mitarbeiter sind die produktivsten“Wirtschaft13.01.2025AfD verteilt „Abschiebetickets“ an Ausländer – jetzt kontert die CDUAfD17.01.2025 Manja Schreiner von der Berliner IHK kritisiert die Intransparenz Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), sieht es ähnlich wie die Juristin. „Es ist nicht nachvollziehbar, welche Vergleichsmaßstäbe die Bundesagentur bei der Beurteilung dafür anlegt, ob ein Gehalt orts- oder branchenüblich ist“, erklärt Schreiner. Ihr dränge sich gelegentlich der Verdacht auf, dass die Bundesagentur für Arbeit sich sehr stark am öffentlichen Dienst orientiere und Gegebenheiten wie Branche, Unternehmensgröße oder Umsatz nicht berücksichtigt würden.Mindestens einmal im Monat wende sich ein Unternehmen wegen Problemen bei der Genehmigung und mit Verweis auf die Mindestgehaltsforderung an die Berliner IHK. „Das mag nach überschaubaren Zahlen klingen, aber die Regelmäßigkeit der Anfragen dazu zeigt aus unserer Sicht, dass wir es tatsächlich mit einem Problem bei der Beurteilung des branchen- und ortsüblichen Lohnniveaus durch die Bundesagentur für Arbeit zu tun haben“, erklärt Schreiner.Eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit weist die Kritik zurück. „Es handelt sich um einen Schutzmechanismus für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Benachteiligungen am Arbeitsmarkt verhindern soll“, teilt sie mit. Das Ziel sei, dass Arbeitnehmer aus dem Ausland nicht schlechter gestellt würden als Beschäftigte im Inland.Sparkassen: Wenn Trump Ernst macht, dann „haben wir eine echte Rezession“Wirtschaft21.01.2025Ökonomen kritisieren Wahlprogramme: „Mit den Linken steigt die Staatsverschuldung“Wirtschaft23.01.2025 Berliner Wirtschaft ist besonders betroffen Laut Manja Schreiner treffen bürokratische Hürden durch die Mindestgehaltsforderung die Berliner Wirtschaft besonders hart. „Jede achte Fachkraft, die im Rahmen der Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten nach Deutschland einwandert, kommt nach Berlin“, erklärt sie. Sie fordert, dass die Bundesagentur für Arbeit mit regionalen Wirtschaftspartnern realistische Gehaltsspannen festlegt. Sinnvoll wäre aus ihrer Sicht ein digitales Gehaltsprüftool. Unternehmen sollten es anonym nutzen können, um die Orts- und Branchenüblichkeit eines Gehalts vorab zu überprüfen. „Außerdem sollten Ablehnungsgründe den Antragstellenden transparent und proaktiv kommuniziert werden“, erklärt Schreiner.Laut IHK meldeten besonders die in Berlin starke Start-up-Branche und die Kreativwirtschaft Probleme mit den Anforderungen der Bundesagentur für Arbeit. Betroffene Unternehmen erhielten in der Regel keine Informationen, welches Gehalt von der Behörde als angemessen betrachtet wird.Neue Umfrage 2025: Die ostdeutsche Wirtschaft hat schlechte Laune – „Staat ist Wettbewerber“Ostdeutschland04.01.2025„Langsamer Niedergang“: Experten fällen ein knallhartes Urteil über DeutschlandPolitik15.01.2025 Berliner Unternehmer klagt über unklare Regeln Der Berliner Unternehmer Sönke Kirchhof schildert, wie unklare Regeln die Suche nach dringend benötigten Programmierern aus dem Ausland erschweren. Seine Firma Invr.space produziert Virtual-Reality-Inhalte. Er habe es schon erlebt, dass die Ausländerbehörde Mitarbeiter zu einer Ausreise innerhalb von wenigen Tagen aufgefordert hätte.In anderen Fällen sei wie bei Agung Setiawan über Monate keine Rückmeldung auf Nachfragen erfolgt. Die langsamen Behördenvorgänge bremsten das Wachstum seiner Firma. „Ich denke da nur an die Zeit, die wir investieren mussten, um den Prozess zu begleiten“, sagt er. Seine Firma habe es zeitweise aufgegeben, nach ausländischen Fachkräften zu suchen.Agung Setiawan will mit seiner Berliner Anwältin weiter um seinen Aufenthaltstitel kämpfen. Sein Arbeitgeber unterstützt ihn bedingungslos, und seine Frau will in Hamburg ihr Studium beenden. Er denke derzeit nicht an eine Jobsuche in einem anderen Land nach. „Inzwischen geht es mir auch darum, mein Recht durchzusetzen“, sagt der Indonesier. Lesen Sie mehr zum Thema B+ plusBerlinPolitikWirtschaftLandespolitikEUArbeitswelt und AusbildungBundesagentur für ArbeitAusländerbehördeAusland