HomeKulturZDF-Talk „Wie geht’s, Deutschland“: Weidel darf reden, Wagenknecht nicht „Wie geht’s, Deutschland“: Weidel darf reden, Wagenknecht nicht Das ZDF wollte mit der Live-Sendung „Wie geht’s, Deutschland“ für Orientierung und Versöhnung im verhärteten Wahlkampf sorgen, brachte aber nur Verkürzung und Verknappung.Max Florian Kühlem29.01.2025 15:12 UhrSarah Wagenknecht (BSW) und Alice Weidel (AfD)Fotos: imagoDas ZDF hat es wirklich versucht. Es hat mit der Live-Sendung „Wie geht’s, Deutschland?“ versucht, auf die aufgeheizten Debatten im Land vor der Bundestagswahl zu reagieren, Politiker und Bürger in den Austausch zu bringen, konkrete Antworten auf komplexe Fragen zu liefern. Leider war das Konzept der Sendung komplett überfrachtet: Acht hochrangingen Politikern aller Parteien mit Bundestagschancen standen 25 (!) zugeschaltete Bürger gegenüber. In 90 Minuten konnte hier keine Balance der Wortbeiträge entstehen. Überraschenderweise kam Alice Weidel überproportional oft zu Wort, während Sahra Wagenknecht um kurze Statements kämpfen musste. Und es gab einen mysteriösen Nazi-Vorwurf aus dem Off.Showdown im Bundestag: Knappe Mehrheit für Unions-Antrag zur Migration – mit Stimmen der AfDVon Maximilian Beer, Paul HoffmannNews•vor 1 Std.Manchmal fühlte man sich an diesem Abend im ZDF an den Sketch von Loriot erinnert, in dem Politiker in einer Gesprächsrunde nur noch Sekundenbruchteile zugesprochen werden, um ihre Wortbeiträge unterzubringen. Verzweifelt wollen sie schnell „Deutschland“ sagen, um ihre Sorge um das Land auszudrücken, können aber nur noch „Deutschl“ hervorbringen. In „Wie geht’s Deutschland?“ hatten die angesprochenen Politiker immer genau 45 Sekunden, um auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger konkret zu antworten. Mit dieser Verkürzung, die von den Moderatoren Dunja Hayali und Mitri Sirin streng überwacht wurde, erreichte man meist das Gegenteil: Statt konkreter Aussagen gab es tausendfach gehörte Allgemeinplätze, weil eine komplexe Darstellung unterschiedlicher Positionen in so einer Kürze praktisch nicht möglich ist.Alice Weidel (AfD)ZDF Die Runde zeigte sich in überraschender Einigkeit So kam es zur skurrilen Situation, dass beim durch den Messerangriff in Aschaffenburg mitten im Wahlkampf hochgekochten Thema Migration im Prinzip alle Positionen gleich klangen. Die Moderatoren hatten es bis ganz zum Schluss aufgespart, als nicht mehr viel Zeit war. Ein Dresdner Rentner wollte von der Angst vieler Menschen wissen, abends durch Städte zu gehen, und forderte die Politiker der „Altparteien“ etwas unbestimmt auf, „endlich aus der politischen Wohlfühlwolke in die Realität“ zu kommen. Dagegen schnitten sie einen perfekt integrierten Nachfahren türkischer Gastarbeiter aus München, der AfD und CDU/CSU vorwarf, Angst und Hass zu schüren und einen enormen Keil in die Gesellschaft zu treiben. „Ich sehe auch niemanden da vorne in der Runde mit Migrationshintergrund.“Die Runde zeigte sich in überraschender Einigkeit: Deutschland habe eine tolerante und weltoffene Gesellschaft, aber Einwanderung dürfe nicht mit dem Gefühl des Sicherheitsverlusts einhergehen. Alice Weidel: „Jeder ist herzlich willkommen, der sich gut einbringen will in unsere Gesellschaft. Der Kontrollverlust ist das Problem.“ Man brauche einen politischen Willen, etwas zu ändern, damit es genau nicht zur gesellschaftlichen Spaltung komme. Das klang bei den anderen nur in Nuancen anders. Momentan noch an der Regierung Beteiligte wie Annalena Baerbock oder Lars Klingbeil sahen die Weichen naturgemäß schon richtig gestellt. Andere warfen der Politik vor, bereits überlastete Verwaltungen ins offene Messer laufen zu lassen.Die Talk-Rund bei „Wie geht’s, Deutschland“ im ZDF.ZDF Noch weniger als Sahra Wagenknecht kam nur Linken-Chef Jan van Aken zu Wort Diesen Punkt versuchte zum Beispiel Sahra Wagenknecht unterzubringen, die hart darum kämpfen musste, in den letzten 30 Sekunden überhaupt noch sprechen zu können: „Ich bin die einzige, die dazu nichts sagen durfte!“ Dann weiter: „Sie haben es eben nicht im Griff“, warf sie Annalena Baerbock vor. „Ich habe 2016 schon gesagt, als Merkel die Grenzen öffnete: Wenn der Zuzug zu hoch ist, akkumulieren sich die Probleme und die AfD schießt noch weiter durch die Decke. Sie haben aber alles blockiert.“Interessanterweise wurde in der Sendung die linke Hälfte des politischen Spektrums quasi blockiert. Noch weniger als Sahra Wagenknecht kam nur Linken-Chef Jan van Aken zu Wort. Alice Weidel durfte dafür fast zu jedem Thema sprechen und man kann nur spekulieren, warum: Vielleicht wollten die Moderatoren sie nach der Erfahrung ihres Gesprächs mit Elon Musk, wo sie keine gute Figur gemacht hatte, sich selbst entlarven lassen. Das tat sie nicht, sondern offenbarte nur wie die anderen in der Runde die Schwäche des Formats. Als Dunja Hayali beweisen wollte, dass die Steuerentlastungskonzepte der AfD vor allem Reichen nützten, und konkrete Zahlen hören wollte, kam Weidel gut mit dem Punkt durch, dass die anderen doch auch nicht zu konkreten Zahlen befragt würden.Sarah Wagenknecht (BSW)ZDF Ein fragliches Format Ein rätselhafter Zwischenruf wird der rechten Politikerin bei ihrem Klientel zudem mehr genützt als geschadet haben. Eine berufstätige Mutter aus Bremen, die sich in der Initiative „Kitastrophe“ engagiert, befand, dass durch den Fachkräftemangel „das System Kita vor dem Kollaps“ stehe. „Kinder werden nur noch aufbewahrt. Ich kann mich nicht mehr verlassen, dass meine Kinder auch gefördert werden.“ Eine Antwort wollte auf die drängenden Probleme wollte sie von Alice Weidel hören. Als die ansetzte, hörte man eine männliche Stimme etwas von „Nazi-Ideologie“ sagen. War es eine Stimme von der Videowand? War es der Linken-Politiker neben ihr? Moderatorin Hayali sagte nur: „„Können wir das bitte sein lassen?“, und bat die Politikerin weiterzusprechen, die verwirrt feststellte: „Ich wurde gerade Nazi genannt.“In welchem Maße ein so dermaßen überfrachtetes Format Orientierung im politischen Diskurs oder gar Versöhnung stiften kann, ist mehr als fraglich. Dass es eher Verknappung und Verkürzung bringt, wurde gleich am Anfang deutlich, als die Politiker tatsächlich mit einem Emoji-Barometer einstellen mussten, was sie zu Fragen wie „Wie geht es Deutschland?“ fühlen. Der legendäre Polit-Interviewer Günter Gaus hat sich dabei wahrscheinlich im Grab umgedreht.Haben Sie Feedback? 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