HomeBerlinGelbhaar-Affäre: Linke Grüne, Bettina Jarasch, der RBB – wer im Fall eine Rolle spielt Linke Grüne, Bettina Jarasch, der RBB: Wer im Fall Gelbhaar eine Rolle spielt Der Fall Gelbhaar wird immer mysteriöser, die Verbindungen reichen bis ins Abgeordnetenhaus. Es gibt viele Profiteure nach dem Sturz des Politikers.Niklas Liebetrau24.01.2025 aktualisiert am 25.01.2025 – 05:00 UhrIm Zentrum einer grünen Intrige: Stefan Gelbhaar.BLZ/ImagoAls Hacer Aydemir am 14. Dezember im Mercure Hotel in Moabit ans Rednerpult tritt, sind viele der anwesenden Grünen überrascht. Die meisten kennen die 29-jährige Haco, wie sie sich selbst nennt, nicht. Und jetzt will sie plötzlich bei der Landesdelegiertenkonferenz um den wichtigen vierten Listenplatz für die Bundestagswahl kandidieren. Ausgerechnet gegen Hanna Steinmüller, die Direktkandidatin aus Berlin-Mitte, Aydemirs eigenem Kreisverband.„Das war höchst seltsam“, sagt ein Bezirkspolitiker der Grünen, der anonym bleiben will. Seltsam vor allem auch deswegen, weil dieser Listenplatz wohl eigentlich Stefan Gelbhaar zugestanden hätte. Dem grünen Bundestagsabgeordneten, über den seit ein paar Wochen das halbe Land spricht. Weil er, nach allem, was man bisher weiß, Opfer einer parteiinternen Intrige wurde. Hacer Aydemir könnte eine Rolle darin spielen. Sie selbst bestreitet das. Das grüne Wespennest Im Dezember waren Belästigungsvorwürfe gegen Gelbhaar bekannt geworden. Kurz vor der Landesdelegiertenkonferenz am 14. Dezember, bei der er eigentlich für Platz zwei kandidieren wollte – und falls das nicht klappen sollte, für Platz vier –, gingen innerhalb weniger Tage 18 Beschwerden bei der Ombudsstelle der Grünen ein.Damit begann ein Skandal, der die Partei tief erschüttert und Gelbhaars politische Karriere einstweilen zerstört hat. Er wurde zum Rückzug seiner Kandidatur um einen Listenplatz gedrängt, verlor die Direktkandidatur in Pankow, die er bereits gewonnen hatte. Er wird nicht wieder in den Bundestag kommen. Der RBB beteiligte sich mit einem Bericht über angebliche Missetaten von Gelbhaar – einen Kuss wider Willen, anzügliche Nachrichten – und musste einräumen, dass seine Hauptbelastungszeugin, „Anne K.“, gar nicht existiert. Bei der Ombudsstelle der Grünen liegen weiterhin sieben Meldungen gegen Gelbhaar.Der Fall erschüttert das grüne Selbstverständnis einer gleichberechtigten und feministischen Partei. In der einige, wie die Sprecherin der Grünen Jugend, ganz offen die Parole vertreten, man müsse „Betroffenen“ immer „glauben“ und die Unschuldsvermutung gelte zwar vor Gericht, aber nicht zwingend in einer Partei.Der Fall legt auch die Machtkämpfe im Berliner Landesverband der Grünen offen – und die Mittel, mit denen dort gearbeitet wird. Schon seit vielen Jahren gelten die Berliner Grünen als Wespennest, das regelmäßig von schweren Skandalen erschüttert wird.Exklusiv: Zweite Grüne wohl in Intrige gegen Stefan Gelbhaar verwickeltPolitikgesternFall Gelbhaar: Diese Fragen will der RBB nicht beantwortenPolitik22.01.2025 Die Rolle von Shirin Kreße Die Mitglieder sind in zwei politische Lager gespalten. In die Linken, manchmal auch Fundis genannt, und die sogenannten Realos, die eine bürgerlichere Politik vertreten. Die Kreisverbände Mitte und Pankow gelten gemeinhin als die relevanten auf der bürgerlichen Seite. Ihnen gegenüber stehen die linken Hochburgen Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg. Ist die Intrige um Stefan Gelbhaar ein weiteres Kapitel in diesem langen Kampf dieser beiden politischen Pole?Shirin Kreßedts Nachrichtenagentur/imagoVerbindungen von Beteiligten der Intrige reichen jedenfalls bis ins Abgeordnetenhaus. Und es gibt mächtige Nutznießer, deren Rolle noch unklar ist – die aber alle eines gemeinsam haben: Keiner von ihnen hat Stefan Gelbhaar in der Sache je unterstützt.Bislang war nur der Name einer Beteiligten bekannt: Shirin Kreße, 27, bis vor kurzem Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bezirksparlament von Berlin-Mitte. Sie war es, die bei einem Treffen des linken Flügels auf Zoom am 9. Dezember als Erste von „schweren Belästigungsvorwürfen“ gegen Gelbhaar sprach. Sie soll es auch gewesen sein, die sich später beim RBB als Anne K. ausgab und eine falsche eidesstattliche Versicherung einreichte. Kreße ist in der vergangenen Woche aus der Partei ausgetreten. Die Vorwürfe gegen ihre Person bestreitet sie nicht. Gute Stimmung unter den linken Grünen Menschen, die mit Kreße politisch zusammengearbeitet haben, bezeichnen sie als schwierig und unzuverlässig. So habe sie im vergangenen halben Jahr immer wieder bei Ausschusssitzungen spontan gefehlt. Gleichzeitig gilt sie als extrem gut vernetzt im linken Flügel der Berliner Grünen auf Landesebene. Bis vor kurzem war sie Mitarbeiterin im Abgeordnetenhaus, im Büro von Ario Mirzaie, der auch zum linken Flügel der Grünen zählt. Kreße war außerdem Sprecherin der einflussreichen Landesarbeitsgemeinschaft Feminismus.Die Grüne selbst beschrieb sich auf Instagram kürzlich noch als „autistisch, links, chronisch wütend“. In der Vergangenheit, so heißt es aus Grünenkreisen, habe sie häufiger ihr Geschlecht gewechselt. Kritische Worte habe sie schnell als diskriminierend und herabsetzend empfunden. „Sie hat alles auf die Identitätsebene gehoben“, sagt jemand, der mit ihr zusammengearbeitet hat. Außerdem sei sie leichtfertig mit der Drohung umgegangen, andere bei der Antidiskriminierungsstelle der Partei zu melden. Dieses Vorgehen sei gar als politisches Machtinstrument eingesetzt worden.Eine enge Vertraute von Shirin Kreße ist Hacer Aydemir. Die Frau, die überraschend am 14. Dezember um Platz vier kandidierte. Recherchen der Berliner Zeitung zeigen: Die Adresse in der eidesstattlichen Versicherung von Anne K. alias Shirin Kreße liegt nur ein Haus neben dem von Hacer Aydemir. Die Adressen sind nahezu identisch.Hacer Aydemir gehört dem grünen Kreisverband Mitte an.Grüne BerlinNach ihrer Bewerbungsrede im Mercure Hotel, so erzählt es jemand, der dabei gewesen ist, sei Aydemir von mehreren Grünen aus dem linken Flügel der Partei umringt worden. Kreße sei dabei gewesen und auch ein Mitglied aus dem Landesvorstand. Aydemir hatte den vierten Platz nicht gewonnen, war schließlich auf dem aussichtslosen 13. Platz gelandet. Doch die Stimmung unter den linken Grünen sei gut gewesen, sagt der Mann. Wer plante den Sturz von Gelbhaar? Hatten da ein paar linke Grüne versucht, den starken Realo Stefan Gelbhaar mit falschen Belästigungsvorwürfen aus dem Weg zu räumen? Oder ihn zumindest so zu beschädigen, dass er beim Kampf um Platz vier sogar gegen die unbekannte Aydemir verloren hätte? Den Listenplatz zwei, für den Gelbhaar schon nicht mehr antrat, bekam Andreas Audretsch nun kampflos. Er ist der Wahlkampfmanager von Robert Habeck, war früher Pressesprecher von Franziska Giffey, SPD, und Journalist für den RBB. Er ist Mitglied im linken grünen Kreisverband Neukölln. Ist es vorstellbar, dass Kreße und Aydemir das alles allein planten? Die Rolle von Leonie Wingerath Auch Hacer Aydemir arbeitete bis vor kurzem für den Abgeordneten Ario Mirzaie. Auf Anfrage gab sich Mirzaie entsetzt: „Dass ein Verdacht auf zwei frühere Mitarbeiterinnen von mir fällt, erschüttert mich.“ Beide würden nicht mehr für ihn arbeiten. Seit wann, sagte er nicht. Aus Fraktionskreisen heißt es, Kreße und Aydemir seien gar seine zwei einzigen Mitarbeiterinnen gewesen. Er habe nun kein Büro mehr. Für Schlagzeilen sorgte Mirzaie einmal, als er im Jahr 2008 mit zwei weiteren Mitgliedern der Grünen Jugend auf eine Deutschlandfahne pinkelte und ein Foto davon in die Medien gelangte.Ein weiterer Name, der im Zusammenhang mit dem Fall Stefan Gelbhaar in Parteikreisen immer wieder fällt, ist der von Leonie Wingerath, Sprecherin der Grünen Jugend in Berlin. Sie sagte an jenem 14. Dezember in die Kameras des RBB, sie wisse von „schweren Vorwürfen im Bereich sexualisierter Gewalt“ gegen Gelbhaar. Zu einem Zeitpunkt, an dem noch überhaupt nichts öffentlich bekannt war. Kurz darauf zog Wingerath ihre Aussage zurück. Auf Anfragen antwortet die Grüne-Jugend-Sprecherin schon seit Tagen nicht. Sie arbeitet für Louis Krüger, ebenfalls Mitglied im Abgeordnetenhaus. Sein Kreisverband: Pankow. Er gilt dort als der einzige Grüne mit Einfluss, der dem linken Flügel angehört.Wirtschaftsforum in Davos: Habeck legt offen, wie er deutscher Autoindustrie helfen willPolitik•gesternSexismus-Affäre um Stefan Gelbhaar: Shirin Kreße erklärt ihren Grünen-Austritt soPolitik20.01.2025 Die Rolle von Bettina Jarasch Im Kreisverband Pankow wird in diesen Tagen intern und im Hintergrund viel gesprochen. Eine Frage wird unter den Grünen dabei besonders diskutiert: Wem nutzt das alles? Wer könnte von dem Fall Gelbhaar profitieren?Ein Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist Bettina Jarasch, eine der beiden Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus. Die Frau, die grüne Bürgermeisterin werden wollte und als eine der mächtigsten Personen im Landesverband Berlin gilt. Auch sie ist Mitglied im Kreisverband Pankow – galt dort bisher jedoch als wenig einflussreich.Bettina Jarasch, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus.Sebastian Gollnow/dpa/ArchivbildDer Kreisverband ist traditionell von Mitgliedern geprägt, die in der Bürgerrechtsbewegung der späten DDR aktiv waren, viele hier legen noch Wert auf „Bündnis 90“ im Namen. Die ostdeutsche Identität ist auch heute noch vielen wichtig, so auch Julia Schneider, die nun anstelle von Gelbhaar als Direktkandidatin antritt. Sie profitiert zwar damit direkt – aber kaum jemand nimmt an, dass sie mit der Intrige zu tun haben könnte, auch Gelbhaar selbst nicht.Die gebürtige Augsburgerin Jarasch jedenfalls hatte es bislang nicht leicht, Anknüpfungspunkte im Kreisverband zu finden, so hört man von dort. Mit dem Niedergang von Stefan Gelbhaar habe sich das geändert, ihre Macht habe sich ausgebaut. So soll Jarasch es gewesen sein, die den Kreisvorstand in der Sache beriet und schon früh darauf drang, dass neu über die Direktkandidatur abgestimmt werden und Gelbhaar nicht mehr antreten solle. Daran hielt er sich nicht, aber er unterlag. Die Rolle von Oliver Jarasch und dem RBB Aus dem Kreisverband und auch aus der Grünen Fraktion im Abgeordnetenhaus heißt es außerdem, Jarasch schiele bereits Richtung Berliner Landtagswahl 2026. Ohne Gelbhaar hätte sie womöglich einen starken Konkurrenten weniger, wenn es um die Frage geht, wer an der Spitze antreten könnte.Der Berliner Zeitung liegt eine Nachricht aus einem internen Grünen-Chat von ihr vom 7. Januar vor. Darin schreibt Jarasch: „Ich glaube tatsächlich, dass die Vorwürfe zumindest von einigen Leuten aus der Grünen Jugend/dem linken Flügel bewusst in das Linkentreffen vor der Listenaufstellung getragen wurden. Mit dem Ziel Stefan (Gelbhaar, Anm. d. Red.) zu verhindern. Und zugleich nehme ich es ernst, wenn es daraufhin 12 Meldungen von Frauen bei der Ombudsstelle gibt.“Wenn Jarasch das glaubte, warum beschrieb sie in ihren öffentlichen Statements nicht zumindest auch die Möglichkeit einer Intrige? Auf Anfrage teilt ihr Sprecher mit, Bettina Jarasch wahre „die Vertraulichkeit interner und persönlicher Gespräche“.Bettina Jarasch ist mit Oliver Jarasch verheiratet, der seit Jahren beim RBB arbeitet, inzwischen in leitender Position, und dort regelmäßig an Runden der Chefredakteure teilnimmt. Bei dem Sender also, der die Vorwürfe der erfundenen Anne K. kurz vor dem Jahreswechsel zur Story machte. Der RBB teilt mit, dass Oliver Jarasch auch im Dezember an den Chefredakteursrunden teilgenommen habe, „die Recherche Gelbhaar“ sei in diesem Monat aber „zu keinem Zeitpunkt Thema“ gewesen. „Themen, die zu einem Interessenskonflikt führen könnten“, würden ohne Oliver Jarasch besprochen.Haben Sie Hinweise oder Feedback? Schreiben Sie unserem Autor! niklas.liebetrau@berliner-zeitung.de Lesen Sie mehr zum Thema BerlinPolitikMittePankowBundestagNeuköllnRBBBezirkeStefan GelbhaarBundespolitik

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