Toiletten an Berlins Bahnhöfen Mangelware: „Wo geht man dann hin, außer in den Busch?“

HomeToiletten an Berlins Bahnhöfen Mangelware: „Wo geht man dann hin, außer in den Busch?“ Toiletten an Berlins Bahnhöfen Mangelware: „Wo geht man dann hin, außer in den Busch?“ Das Einzige, was an Bahnhöfen in Berlin noch seltener ist als ein pünktlicher Zug, sind öffentliche Toiletten. Auf der Suche nach stillen Örtchen.Clint Lukas03.12.2024 03:29 UhrDas Einzige, was an Bahnhöfen in Berlin noch seltener ist als ein pünktlicher Zug, sind öffentliche Toiletten.Benjamin Pritzkuleit/Berliner ZeitungWahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, der diese Situation schon erlebt hat. Man war irgendwo in Berlin unterwegs, und bevor man sich auf den Heimweg machte, trank man ein gepflegtes Glas Pils oder den ein oder anderen Piccolo. Schließlich weiß jeder, dass es nicht schaden kann, sich vor der Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ein robustes Nervenkostüm zuzulegen. Dann sitzt man in einer U-Bahn, eingekeilt zwischen der Mitbevölkerung, alles könnte so schön sein – bis der Harndrang sich meldet. Der Harndrang ist ein unangenehmer Reisebegleiter!Neulich befiel er mich unvermittelt am Hauptbahnhof, weshalb ich auszog, eine Toilette zu finden. Das dauerte eine Weile. Es fehlt dort nicht an Hinweisschildern, man folgt ihnen mit schwindender Hoffnung von Ebene zu Ebene, während die Blase schon längst so spannt wie ein Trommelfell. Schließlich steht man vor einem engen, überfüllten Korridor im Erdgeschoss, dem Zugang zu einer Sanifair-Anlage. Dort wartet man dann, um seinen Euro in den Automaten stecken zu dürfen, und hat dabei genug Zeit, sich zu fragen, warum es im Hauptbahnhof unserer Hauptstadt nur eine einzige vermaledeite Toilette gibt.Warum ich zum ersten Mal in meinem Leben Mitleid mit einem Ticketkontrolleur empfandBerlin27.11.2024Geständnisse eines Berliner Kellners: „Solche Gäste braucht kein Mensch“Food14.11.2024„Das ist kein Einzelfall“, sagt Michael Hasse, regionaler Vorsitzender des Deutschen Bahnkunden-Verbandes. „Schauen Sie sich doch unsere großen Umsteigebahnhöfe an. Am Westkreuz gibt es überhaupt keine Toilette. Wo geht man dann hin, außer in den Busch? Soll man sich runter aufs Gleis stellen? Oder am Ostkreuz, da muss man erst mal hinaus auf die Straßenebene in ein separates Gebäude – wenn man davon weiß! Denn die Hinweise sucht man vergebens, oder sie sind so klein, dass man sie zwangsläufig übersieht.“Ich erzähle ihm von meinem jüngsten Missgeschick. Es war Sonntagabend, ich kam mit einem Intercity aus Rostock am S-Bahnhof Gesundbrunnen an. Wie es der Zufall wollte, waren im Zug sämtliche Toiletten unbenutzbar gewesen. Gemeinsam mit einer Gruppe von älteren Frauen, die in einer ähnlich kompromittierenden Lage waren, eilte ich zu Sanifair am Hanne-Sobek-Platz. Nur um festzustellen, dass es geschlossen war, um halb sieben am Abend. Ich rannte also hinüber zum Humboldthain und erleichterte mich an einer Platane. Die angeekelten Blicke der Passanten um mich herum werde ich wohl niemals vergessen. Was mit meinen Schicksalsgefährtinnen aus dem Zug geschah, weiß ich bis heute nicht.„Das gleiche Problem haben Sie auch am Zoologischen Garten“, sagt Hasse. „Dort habe ich es schon einige Male erlebt, dass die Toiletten um 21 Uhr geschlossen waren. Das ist doch eigentlich untragbar. Und überhaupt, dieses Sanifair. Das ist ja nun allgegenwärtig – ob am Alexanderplatz, am Ostbahnhof oder in Lichtenberg. Sie kriegen da für ihren Euro diese Coupons über 50 Cent, die Sie dann irgendwo einlösen sollen. Aber probieren Sie das mal.“ „Probieren Sie mal, einen Sanifair-Coupon einzulösen“ – ein Ding der Unmöglichkeit? Gesagt, getan. Da ich ohnehin dreimal am Tag im Gesundbrunnen-Center shoppen gehe, wage ich das Experiment. Die Verkäuferin bei Bijou Brigitte schaut mich an, als hätte sie noch niemals im Leben ein solches Wunderding wie diesen Wertbon gesehen. Auch bei Thalia und Rossmann zeigt man mir lachend den Vogel. Womöglich ist die Einlösung nur im unmittelbaren Bahnhofsbereich möglich, denke ich. Und tatsächlich finde ich einen Bäcker, der den Gutschein mit spitzen Fingern über den Tresen zieht. Allerdings möchte er ihn erst ab einem Mindestumsatz von fünf Euro annehmen. Diese Recherche hat so lange gedauert, dass ich schon wieder aufs Klo muss.Berlin: Das ist die beliebteste öffentliche Toilette der StadtMitte19.11.2024Kein Wunder also, dass ein Großteil der Sanifair-Kunden die Coupons einfach liegen lässt. Fast die Hälfte, wie eine repräsentative Umfrage des RBB ergeben hat. Demnach bleiben pro Jahr Gutscheine im Wert von 20 Millionen Euro ungenutzt – eine nette Nebeneinnahme für Sanifair. Die doch wenigstens teilweise an das Putzpersonal ausgeschüttet werden könnte, damit dieses auch nach Sonnenuntergang noch Bock hat, die Stellung zu halten.„In meiner Kindheit gab es auf jedem West-Berliner S-Bahnhof zumindest eine Pinkelhalle“, sinniert Hasse. „Die waren zwar auch nur für Männer eine Erleichterung, aber immerhin. Leider wurden die nicht gepflegt, sind über die Jahre immer weiter verwahrlost und wurden dann dichtgemacht. Für uns als Verband ist diese problematische Toilettensituation schon ein Thema. Vor allem, wenn man das Ausland zum Vergleich heranzieht. Polen oder die Slowakei. Wie gesagt, ein einziges Klo am Berliner Hauptbahnhof! In Stettin zum Beispiel gibt es drei, und die sind alle einwandfrei bewirtschaftet. Ob privat oder von der polnischen Bahn, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, aber da funktionieren die Bahnhöfe jedenfalls noch.“ Berliner Lösung – zentral gelegene Stammkneipen suchen Vielleicht liegt das daran, dass in Polen nicht zwei Drittel der Bahnhöfe an private Investoren verkauft wurden, wie das bei uns der Fall ist. Die Deutsche Bahn ist zum Teil nur noch im Besitz ihrer Gleisanlagen, alles andere fällt nicht mehr in ihren Aufgabenbereich.„Und was können Sie als Bahnkunden-Verband dabei tun?“, frage ich.„Na ja“, sagt Hasse, „wir können nur bei den entsprechenden Projektleitern darauf aufmerksam machen. Zum Beispiel neulich bei den Schienenverkehrswochen.“„Wie reagieren die Projektleiter dann?“„Die sagen: Wir gehen dem Problem nach. Aber das kann erfahrungsgemäß dauern.“Wie bei vielen anderen Herausforderungen in unserer schönen Stadt ist man als wehrhafter Bürger also dazu angehalten, selbst nach Lösungsstrategien zu suchen. Aus eigener Erfahrung kann ich empfehlen, an jedem größeren Verkehrsknotenpunkt eine Stammkneipe zu unterhalten. Diese kann man zwar auch nur zum Toilettengang frequentieren, doch muss man hierbei ebenfalls mit einer nötigen Investition von einem Euro rechnen. „Dit Toilettenpapier wächst ja nich uffm Baum! Und den Strom für die Beleuchtung zahlt mir ooch keener!“Gefangen im Stau: Wie mir Tag für Tag ein Entkommen aus Köpenick schwer gemacht wirdVon Katrin BischoffPanorama24.11.2024Da ist es doch wesentlich angenehmer, sich bei einem frisch Gezapften an den Tresen zu setzen und während des Verzehrs eine Klo-Flatrate zu genießen. Dass man dabei die Voraussetzung für einen schnell wiederkehrenden Harndrang schafft, braucht einen nicht zu stören, solange man sich nur an diesen Vorsatz hält: Durch Berlin bewegt man sich in Etappen. Vom Südkreuz bis Potsdamer Platz, dann ab in die Kneipe. Anschließend zwei Stationen bis Friedrichstraße, dann ab in die Kneipe. Ich denke, das Konzept ist nicht schwer zu verstehen. Selbstverständlich wird man dabei zum Trinker. Allerdings ist es für mich schon seit langem ein Rätsel, wie man diese Stadt nüchtern ertragen soll.

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