HomeHabeck rettet Papierfabrik mit 500 Millionen Euro: Denn in Frankreich ist der Strom viel günstiger Habeck rettet Papierfabrik mit 500 Millionen Euro: Denn in Frankreich ist der Strom viel günstiger Die Papierfabrik Adolf Jass erhält von Wirtschaftsminister Habeck den Scheck mit der höchsten Summe. Nur so könne das Unternehmen gegen „CO₂-freien günstigen Atomstrom“ ankommen.Chiara Maria Leister23.10.2024 18:16 UhrDas Bundeswirtschaftsministerium, geleitet von Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen), pumpt Geld in die Industrie – in Milliardenhöhe. dpaEin Papierhersteller in Fulda erhält mehr als eine halbe Milliarde Euro aus den Klimaschutzverträgen des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK). Am 15. Oktober hatte der Wirtschaftsminister Robert Habeck die ersten Verträge an Unternehmen vergeben – der Papierfabrik Adolf Jass wurde dabei die größte Fördersumme zugesprochen.Diese Summe diene dazu, der Papierfabrik den Umstieg auf klimaschonende Papierproduktion zu ermöglichen. „Wir stehen im Wettbewerb mit Papierfabriken zum Beispiel in Frankreich, die CO₂-freien günstigen Atomstrom kaufen“, sagte dazu die Geschäftsführerin Marietta Jass-Teichmann. Es ist die höchste Zahl auf dem Scheck, die der Wirtschaftsminister ihr überreichte. Dabei widerspricht ihre Aussage dem Grundvorhaben des Grünen-Politikers.Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, l.), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, übergibt einen Klimaschutzvertrag an Marietta Jass-Teichmann, geschäftsführende Gesellschafterin der Papierfabrik Adolf Jass GmbH & Co. KG.Jörg Carstensen/dpa Die ganze Welt setzt auf Atomkraft – und Deutschland? Bis zu 564 Millionen Euro – so viel könnte der Hersteller von Rohpapier für Wellpappen über 15 Jahre erhalten, um den im Produktionsprozess nötigen Dampf künftig mit Strom statt mit Erdgas zu erzeugen. Mit anderen Worten: Das Bundesministerium gibt verteilt Summen, damit Unternehmen wie das aus Hessen ihre Produktion klimafreundlicher gestalten können.Im Fall Adolf Jass bedeutet es aber offenbar, im Wettbewerb mit den Franzosen überleben zu können. In Frankreich wird der Strom durch Atomkraftwerke generiert, wo zumindest nicht direkt CO₂-Emissionen entstehen. In Deutschland hatte die letzte Merkel-Regierung dieser Form der Stromerzeugung aber ein Ende gesetzt – zur Freude der Grünen. Die schalteten 2023 in Regierungsverantwortung die letzten Atomkraftwerke ab.Atomausbau in Nachbarländern: Lachen die Franzosen uns gerade heimlich aus?Von Chiara Maria LeisterFrankreich15.04.2023Damit scheint Deutschland auf Alleingang zu sein, immerhin hat beispielsweise bei der UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28) eine Gruppe von etwa 20 Staaten zum Ausbau der Atomkraft aufgerufen. Internationale Großbanken wollen vermehrt in Atomkraft investieren. Gleichzeitig wollen die USA ein großes Kernkraft-Comeback. Frankreich mit Atomstrom grünen Wasserstoff generieren. Zudem haben Deutschlands und Frankreichs unterschiedliche Sichtweisen zahlreiche EU-Gesetze der vergangenen Jahre gelähmt. Der Streit ist aber nicht vorbei.Anfang Oktober forderte Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold (Grüne) in Berlin einen Ausschluss von Atomkraft von allen EU-Förderprogrammen. Außerdem forderte er die EU-Kommission auf, stärker gegen Länder vorzugehen, die ihre Erneuerbaren nicht schnell genug ausbauen. Das war ein Seitenhieb auf Frankreich. Umso kontroverser ist es, dass vor wenigen Tagen auf dem CSU-Parteitag das Vorhaben zur Reaktivierung alter Atommeiler angekündigt wurde. Sollten CDU und CSU erfolgreich aus der Bundestagswahl hervorgehen, würden sie die Meiler wieder ans Netz und damit die Kernenergie wieder zurück nach Deutschland bringen. Industriestrompreis: Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich Passend dazu wirbt auch der Diplom-Chemiker Christoph Canne auf X für die Atomkraft. „Die Stromerzeugungsanlagen, die in Frankreich CO₂-freien Strom erzeugen, haben die Grünen gekillt“, sagt er. Nun müssten die Steuerzahler dafür herhalten und „stattdessen jeder kleinen Papierfabrik dystopische Subventionen“ zahlen – damit sie vielleicht einmal so klimafreundlich produzieren können, wie dies mit französischem Strom selbstverständlich sei.Ein Vergleich des Industriestrompreises für Deutschland und Frankreich von der Fachzeitschrift et zeigt aber, dass es auch vor Deutschlands Atomausstieg schon Unterschiede gab. Bei einem hohen Stromverbrauch, 70.000 bis 150.000 Megawattstunden (MWh), zahlten französische Unternehmen im zweiten Halbjahr 2022 ohne Steuern und Abgaben 13,41 Euro pro MWh. Einschließlich aller Steuern und Abgaben waren es 15,68 Euro je MWh. Für Unternehmen in Deutschland lagen die Preise bei 17,82 beziehungsweise 24,16 Euro pro MWh.Kennen Sie den Papierhersteller Adolf Jass in Fulda?Falls nicht, trösten Sie sich, ich auch nicht. Aber diese Fabrik bekommt künftig bis zu 564 Mio € Subventionen aus Herrn #Habeck|s Klimaschutzverträgen. Da staunen Sie. Ich auch. Diese Summe dient dazu, der Papierfabrik… https://t.co/XwsVKsKsPl— Dr. Christoph Canne (@ChristophCanne) October 21, 2024 Atomkraft-Experte: Habecks Förderung ist dreimal so teuer Canne ist seit 2022 Sprecher der Bundesinitiative Vernunftkraft und gehört dort dem Fachbereich Volkswirtschaftslehre an. Er ist in seiner Funktion Experte im Analysieren ökonomischer Zusammenhänge in der Energiepolitik. Seine Stellungnahme ist nicht verwunderlich, immerhin ist die Initiative eine Lobby-Organisation, die sich gegen erneuerbare Energien einsetzt und stattdessen für Kohle- und Kernkraftwerke wirbt.Zwar entstehen bei der Kernspaltung primär keine CO₂-Emissionen. Allerdings generieren Kernkraftwerke beim Betrieb langlebige und hoch radioaktive Abfälle, deren Management eine große und langfristige gesellschaftliche Herausforderung darstellt, wie ein Faktencheck des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung zeigt. Der Franzose Christoph Neugnot sagte in einem früheren Interview mit der Berliner Zeitung Ähnliches.Er ist Atomkraft-Experte, arbeitet als Kommunikationsdirektor der staatlichen Orano-Gruppe und sagte zwar: „Atomkraft produziert nur wenig CO₂ und ist damit fast wie die erneuerbaren Energien.“ Mit anderen Worten aber: Obwohl der kernphysikalische Vorgang der Spaltung keine Kohlstoffemissionen aufweist, ist die Kernenergie nicht emissionsfrei. Doch CO₂-frei hin oder her, die Grünen haben sich entschieden. Die Fabrik-Chefin gesteht selbst, dass französische Wettbewerber einen Vorteil im Stromeinkauf hätten. Auch Canne betrachtet den Kostenfaktor.Die Klimaschutzverträge sehen vor, insgesamt auf 15 Jahre verteilt, 2,8 Milliarden Euro an Subventionen auszugeben. Dadurch sollen 17 Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden. Im Umkehrschluss ergibt sich ein Preis von 165 Euro pro Tonne CO₂. Zum Vergleich: Der Marktpreis für eine Tonne CO₂ liegt derzeit bei rund 62 Euro. „Da sieht man, es ist eine sehr teure Maßnahme im Hinblick auf CO₂-Einsparungen“, sagt Canne zur Berliner Zeitung. Denn: „Die Habeck’schen Subventionsprogramme sind also knapp dreimal so teuer wie der Markt.“ Hinzu komme, dass die letzten sechs Kernkraftwerke Deutschlands 20 Millionen Tonnen CO₂ eingespart haben, „wohlgemerkt pro Jahr“. Klimaschutzverträge mit Kündigungsklausel Das Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums versteht sich als Unterstützung für Industrieunternehmen, möchte ihnen einen Teil der Mehrkosten finanzieren, die sich durch Investitionen in klimafreundliche Produktionsanlagen ergeben. Die Klimaschutzverträge sehen aber auch vor, sich das Geld teilweise zurückzuholen, wenn die klimafreundliche Produktion günstiger wird als die konventionelle. Dann sollen die Unternehmen ihre Mehreinnahmen an den Staat zurückzahlen. „Es gibt aber eine Klausel, die geeignet ist, genau dies zu verhindern“, so Canne von Vernunftkraft weiter.Die Papierfabrik Adolf Jass erhält bis zu 564 Millionen Euro vom Bundeswirtschaftsministerium.Schöning/imagoSo gebe es eine Klausel, die es den Unternehmen erlaube, genau zu diesem Wendepunkt, sprich, wenn es keine Subventionen mehr gibt und stattdessen Geld zurückfließen müsste, einseitig zu kündigen. „Allerdings beträgt die Kündigungsfrist dann drei Jahre, so lange muss mindestens zurückgezahlt werden“, schlichtet Canne. Zwar ist im Mustervertrag davon keine Rede, im Pressepapier des BMWK schon. Tesa will Produktionsprozess von Erdgas auf Wasserstoff umstellen Aber Atomkraft-Lobbyist Canne ist noch nicht fertig. Er zweifelt die Erfolgsquote der geförderten Projekte an, derzeit sind es 15. „Da ist zum Beispiel ein Projekt dabei, das seinen Produktionsprozess von Erdgas auf klimaneutralen Wasserstoff umstellt“, sagt er. Gemeint ist der Klebebandhersteller Tesa. Der Atomkraft-Experte kritisiert, dass der benötigte Wasserstoff teuer importiert werden müsse, da sich die Produktion hierzulande noch nicht lohne. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 wurden 3036 Millionen Kubikmeter Wasserstoff in Deutschland hergestellt. Das entspricht nach Angaben des Deutschen Wasserstoffverbandes elf Terawattstunden (TWh). 2019 waren es demnach circa 16 TWh. Zum Verständnis: Eine TWh entspricht einer Milliarde Kilowattstunden.Damit ist das produzierte Volumen von Wasserstoff in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt tendenziell gesunken. Außerdem handelt es sich hierbei vorwiegend um grauen Wasserstoff. Grüner Wasserstoff wird hierzulande bisher nur in sehr geringen Mengen produziert. Zudem zeigt eine Studie des Fraunhofer-Instituts, dass sich die Produktion von grünem Wasserstoff in Deutschland finanziell noch nicht lohnen wird. Wichtig sind die Fertigstellung des Kernnetzes in Deutschland (geplante Fertigstellung 2032) und der Pipeline-Import von grünem H2 aus Südeuropa, Nordafrika und Skandinavien. Nur so kann ein Markt entstehen, der günstigere Preise verspricht.Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de