HomeMafia in Berlin? Trio aus Neapel wollte in Kudamm-Nähe teure Uhren rauben Steckt die Mafia dahinter? Trio aus Neapel wollte in Kudamm-Nähe teure Uhren rauben Zwei Männer wendeten eine besonders fiese Masche an, die in Europa verbreitet ist. Sie und eine Komplizin wurden jetzt in Berlin als Bande verurteilt. Doch erst einmal dürfen sie nach Hause. Andreas Kopietz23.10.2024 16:58 UhrDie drei Angeklagten sitzen am Mittwoch im Kriminalgericht Moabit.Pressefoto WagnerDrei Italiener wollten in Berlin reichen Autofahrern teure Uhren rauben – angeblich im Auftrag der italienischen Mafia, genauer, der Camorra. Im Bereich des Kurfürstendamms bedienten sie sich im Juni einer perfiden Masche: Auf einem Motorroller näherten sie sich einem zuvor ausgespähten Auto und brachten den Fahrer dazu, die Fensterscheibe herunterzulassen, um dann sogleich das teure Stück vom Handgelenk zu reißen. Am Mittwoch fällte ein Schöffengericht am Amtsgericht Tiergarten sein Urteil über Giuseppe S. (46) dessen Schwester Anna (50) und Alessandro M. (41).Giuseppe S. und Alessandro M. wurden zu Haft verurteilt und Anna S. zur Bewährung. Der Richter sah es als erwiesen an, dass die beiden Männer und die Frau als Bande agierten und bescheinigte ihnen ein hochprofessionelles Vorgehen.Mafia in Berlin: Wie die Camorra auf dem Kurfürstendamm Autofahrer ausraubtVon Andreas KopietzPolizei22.09.2024So weit, so gewöhnlich. Doch der Fall bietet einige Merkwürdigkeiten. Am 20. September hatte die Berliner Staatsanwaltschaft eine Mitteilung verschickt, mit der Überschrift „Anklage wegen versuchter Uhrenraubtaten im mutmaßlichen Auftrag der ‚Camorra‘“. Doch weder das Wort Mafia noch das Wort Camorra finden sich in der Anklageschrift, wie auch die Staatsanwältin im Prozess einräumen musste. Deshalb legten auch die Anwälte darauf Wert, dass der Richter und die Schöffen dies zur Kenntnis nehmen mögen. Die Täter erspähten einen Mercedes Und so bleibt es – zunächst erst einmal – bei einem gewöhnlichen bandenmäßigen Vorgehen, wie so oft vor Gericht. Wenn da nicht Europol mit im Spiel wäre.Die erste Tat, wegen derer sie verurteilt wurden, ereignete sich am Abend des 13. Juni. Mit schwarzen Helmen und dunklem Visier waren Giuseppe S. und Alessandro M. auf einem Motorroller unterwegs und hatten einen Aston Martin erspäht. Als dieser in der Augsburger Straße einparkte, stieg Alessandro M. vom Moped, das ein gefälschtes spanisches Kennzeichen hatte, und postierte sich hinter dem Wagen.Giuseppe S. fuhr an das Auto heran und klappte den Seitenspiegel an, um den Fahrer dazu zu bewegen, die Scheibe herunterzulassen. Der Fahrer sagte zu seiner Frau, die neben ihm saß, hier stimme etwas nicht. „Das sind bestimmt irgendwelche Diebe.“ Beide Täter hatten wieder ihre schwarzen Helme auf. Der Fahrer machte seine Rolex Yacht-Master aus Weißgold (Wert: 40.000 Euro) ab, ließ die Scheibe oben. Daraufhin flüchteten die Täter mit dem Moped. Plötzlich war die teure Uhr wieder da Am Tag darauf erspähten sie einen Mercedes. Als er an der Lietzenburger Straße in eine Tiefgarage fahren wollte und wartete, dass das Tor hochfährt, stieg Giuseppe S. vom Motorroller ab und klopfte an die Scheibe.Der Fahrer dachte, dass der Mann eine Frage habe und ließ die Scheibe 20 Zentimeter runter. Jetzt griff der Täter nach der Uhr, einer Patek Philippe Nautilus, Roségold (Wert: 110.000 Euro). Doch der Fahrer wehrte sich, lehnte sich nach hinten, trat mit dem rechten Bein auf das Gesicht des Täters, schrie und hupte. Bei dem Gerangel erlitt er Schürfwunden. Die Uhr riss ab und der Täter flüchtete zusammen mit dem Komplizen auf dem Moped.Mafiaboss Messina Denaro im Gefängnis gestorbenMitte25.09.2023Der Polizei erzählte der Fahrer, dass die teure Uhr nun weg sei. Einige Wochen später hatte sie sich wundersamerweise wieder angefunden. In einer zweiten Vernehmung bei der Kripo erzählte er: „Zu meiner Überraschung lag sie zwischen Fahrertür und der Schiene des Sitzes.“ Wegen des kaputten Armbandes entstand ein Schaden von 7500 Euro. Europaweit derselbe Modus Operandi Zu diesem Zeitpunkt hatten Ermittler des Taschendieb-Kommissariats die beiden schon observiert. Sie waren ihnen an dem Tag aufgefallen, wie sie Ausschau hielten nach teuren Autos. Der Modus Operandi solcher Uhrenräuber ist den Polizeibehörden mittlerweile europaweit bekannt.Noch am selben Tag wurden alle drei festgenommen, am nächsten Tag erging gegen sie Haftbefehl. An ihrem Quartier in der Bornimer Straße in Halensee fanden die Fahnder in einem Müllbehälter die schwarzen Gummihandschuhe, die die Täter trugen, Headsets, mit denen sie sich verständigt hatten, das spanische Nummernschild und eine schwarze Jacke, die einer bei der Tat trug. Seitdem saßen sie in Untersuchungshaft.Anna S., die Schwester von Giuseppe, hatte an der Bornimer Straße via Booking.com eine Ferienwohnung für einige Tage angemietet, wo die Drei, die für die Taten extra von Neapel nach Berlin gereist waren, unterkamen. Sie wurde wegen Beihilfe angeklagt. „Sie möchte ihren Frieden finden und zurück nach Neapel“ Der Verteidiger von Anna S. verwies vor Gericht auf deren schweres Leben. Nur fünf Jahre habe sie zur Schule gehen dürfen, weil der Vater das so wollte. Sie habe sich um ihren kleinen Bruder kümmern müssen. Ihre Eltern hätten beide gearbeitet. Vor ihrer Inhaftierung habe sie in Neapel bei ihrer Mutter gewohnt. Sie sei Mutter von drei Töchtern. In Italien habe sie als Näherin gearbeitet und später in einem Restaurant. „Sie möchte ihren Frieden finden und zurück nach Neapel, zu ihren Töchtern“, sagte der Anwalt. In deutscher Haft habe sie es besonders schwer, weil im Gefängnis niemand Italienisch spreche.Die gleiche Verteidigungsstrategie bei den beiden Männern: Diese hätten es aufgrund der Sprachbarriere schwer gehabt. Nicht einer der Insassen in der Haftanstalt Moabit spreche Italienisch. Erst nach vier Wochen sei Giuseppe S. Kontakt zu seiner Familie gestattet worden. Alessandro M. ließ über seinen Verteidiger erklären, dass er „aus der Tiefe seines Herzens“ um Vergebung bitte. Seine fünf Kinder und seine Lebensgefährtin vermisse er sehr.Einsam gegen die Mafia: Roberto Savianos Kampf ums ÜberlebenVon Joseph WeisbrodNew York Times09.11.2023Alle Angeklagten räumten ihre Taten vor Gericht vollumfänglich ein. Hier ging es nur um das Strafmaß. Ehssan Khazaeli, der Hauptverteidiger, widersprach der Staatsanwaltschaft, die ein professionelles bandenmäßiges Vorgehen sieht: „Ich finde, das war ein äußerst dilettantisches Vorgehen.“ Uhrenräuber reisen zurück nach Neapel Der Richter sah das anders und verurteilte die beiden Männer schließlich wegen zwei versuchter Raube bei bandenmäßigem Vorgehen zu jeweils drei Jahren und vier Monaten Haft. Die Frau bekam ein Jahr und drei Monate Haft, die zu drei Jahren Bewährung ausgesetzt werden. Er entließ alle drei aus der Untersuchungshaft. Sie flogen noch am Abend nach Neapel. Da sie dort gemeldet und für die Behörden greifbar sind, werden die Männer später ihre Ladung zum Haftantritt in Deutschland erhalten.Die Entlassung war das Ziel der Verteidiger, die eine Woche Zeit haben, um in Berufung zu gehen. Rechtsanwalt Khazaeli lässt noch offen, ob sie gegen das Urteil in Berufung gehen. Und fügt hinzu: Die drei Angeklagten seien nicht Mitglieder der Camorra, oder in deren Auftrag tätig gewesen.Aus den Fingern gesaugt hat sich die Berliner Staatsanwaltschaft diesen Verdacht gleichwohl nicht. Auch wenn die Männer in Deutschland keine Einträge im Strafregister haben, fielen sie nach Angaben von Ermittlern jedoch schon in anderen Ländern auf. Spanien, Frankreich, Schweiz – überall dieselbe Methode So wurde dieselbe Ferienwohnung in Berlin schon einmal im Zusammenhang mit einem Uhrenraub in Potsdam angemietet. Der Motorroller, den die Männer in Berlin benutzten, ist auf einen Mann in Neapel zugelassen – so wie jene anderen Gefährte, mit denen 2022, 2023 und in diesem Jahr an mehreren Orten in Deutschland, etwa in München, aber auch immer wieder in der Schweiz, Uhren geraubt wurden – mit derselben Masche wie in Berlin.Der tiefe Berliner Sumpf: Wie Security-Firmen mit der Flüchtlingskrise Geschäfte machenVon Andreas KopietzWirtschaft15.10.2024Giuseppe S. fiel im Zusammenhang mit Uhrenraub auch schon in Spanien und Frankreich auf. Allerdings wurde er nicht verurteilt. Und Alessandro M. fiel der Polizei 2023 in Spanien im Zusammenhang mit Raub und Geldwäsche auf. Auch hier gab es für ihn kein Urteil. Der Fahrrad- und Moped-Mechaniker hat also offiziell eine reine Weste.Auffällig viele Verbindungen führen nach Neapel, was auch die Europäische Polizeibehörde Europol beschäftigt. Sie geht davon aus, dass derartige Taten von der neapolitanischen Camorra europaweit gelenkt würden – was allerdings nicht bedeute, dass die Täter selbst Angehörige der Camorra sein müssten.