HomeBerlinDramatischer Azubi-Mangel in Berlin: SPD will Unternehmen bestrafen, die zu wenig ausbilden Dramatischer Azubi-Mangel in Berlin: SPD will Unternehmen bestrafen, die zu wenig ausbilden Berlins Arbeitssenatorin fordert Zwangsgebühren für Unternehmen, die nicht genug ausbilden. Das Projekt ist hochumstritten.Elmar Schütze24.04.2025 12:47 UhrEin Azubi arbeitet an einer Anlage im Kompetenzzentrum der Berliner Innung Sanitär, Heizung und Klima.Monika Skolimowska/dpaDie duale Ausbildung, das Lernen in Betrieb und Berufsschule, gilt seit jeher als einer der entscheidenden Schlüssel für den langanhaltenden Aufstieg des Modells „Made in Germany“. Nahezu die ganze Welt, so werden Vertreter aus Wirtschaft und Politik nicht müde zu betonen, beneide Deutschland um diese Tradition.Doch diese Tradition ist in großer Gefahr. Immer mehr Schulabgänger wechseln an Universitäten, immer weniger entscheiden sich für eine klassische Ausbildung. Besonders dramatisch ist diese Entwicklung in Berlin. In der Hauptstadt, durch Krieg und Mauerbau großer Teile ihrer einst blühenden Industrie beraubt, ist die Anzahl der ausbildenden Unternehmen gering. Und es werden eher weniger.Knappes Angebot, zu wenig Beratung: Das Drama um die Berufsausbildung in BerlinBerlin03.11.2022Görlitz: Ostdeutsches Eisenbahnwerk muss jetzt Waffen herstellenOstdeutschlandgesternIn Berlin gab es nach Angaben des Amtes für Statistik im Jahr 2023 rund 186.000 Unternehmen. Davon bilden nach Angaben der Senatsarbeitsverwaltung derzeit gerade einmal 10,9 Prozent aus. Damit ist die Quote so niedrig wie in keinem anderen Bundesland. Berlin ist Ausbildungsschlusslicht. Auch das Verhältnis von Ausbildungsplätzen zu sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen liegt mit 3 Prozent unter Bundesdurchschnitt.Die Folge: Viele Jugendliche bleiben nach ihrem Abgang von der Schule unversorgt, mehr als 3700 jugendliche Menschen haben im vergangenen Jahr keinen Ausbildungsplatz gefunden. Dieser Trend soll sich ändern.Nach dem Willen der schwarz-roten Koalition soll die Zahl der Ausbildungsplätze am Ende dieses Jahres um 2000 höher sein, als im Jahr 2023. So steht es im Koalitionsvertrag. Konkret heißt das: Aus 32.853 Plätzen sollen 34.853 Plätze werden. Das ist die Zielmarke. Berlin will 2000 Arbeitsplätze mehr – und wird das Ziel wohl nicht erreichen Um diese zu erreichen, will die Arbeitsverwaltung unter Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD), nun ja, sanften Druck anwenden. Alle Berliner Unternehmen sollen je nach Größe und Potenz eine sogenannte Ausbildungsplatzumlage bezahlen. Diejenigen, die ausreichend ausbilden, sollen dafür aus diesem Topf belohnt werden. Für alle andere hieße dies: Sie werden bestraft dafür, dass sie nicht – oder nicht ausreichend – ausbilden. Dabei ist egal, ob sie aus dem Einzelhandel stammen oder der Sanitärbranche, ein Hightech-Start-up sind oder die Berliner Verkehrsbetriebe.Cansel Kiziltepe (SPD), Berlins ArbeitssenatorindpaFür Senatorin Kiziltepe geht es nach eigenem Bekunden dabei um zwei Dinge: die Gewinnung von Fachkräften und die Gerechtigkeit unter den Unternehmen. „Es muss sich etwas ändern. Wer nicht ausbildet, darf nicht über Fachkräftemangel klagen“, sagt sie. Und wer nicht ausbildet, dürfe sich nicht kosten- und mühelos auf dem Arbeitsmarkt bedienen, den andere durch mühselige und teure Ausbildung erst qualifiziert hätten.Die Arbeitssenatorin hat einen alten Plan ihrer Vorgängerin Katja Kipping (Linke) weiterbetrieben und geht jetzt in die Offensive. Am Mittwoch hat sie einen Referentenentwurf vorgelegt. Davon sind bisher zwar vor allem Willensbekundungen bekannt. Doch der Fahrplan geht in etwa so: Die Auskunftspflicht für Unternehmen soll ab Januar 2027 in Kraft treten, mit der Einziehung des Geldes soll ab Januar 2028 begonnen werden. Ausbildungsplatzumlage: Ab 2028 sollen Unternehmen bezahlen Als ein Vorbild dient dabei die Hansestadt Bremen, wo die rot-grün-rote Landesregierung 2023 ein solches Modell gestartet hat. Als bislang einziges Bundesland überhaupt. Wie in Bremen soll es auch in Berlin eine sogenannte Bagatellgrenze geben, unterhalb derer kein Beitrag zu leisten wäre. Beim Vorbild Bremen müssen Unternehmen, die ihren Beschäftigten nicht mehr als 135.000 Euro Bruttolohn im Jahr bezahlen, keine Strafe bezahlen – alle, die darüber liegen, werden zur Kasse gebeten. Das sind bei einem durchschnittlichen Bruttolohn in Berlin von aktuell 56.500 Euro etwas mehr als zwei Stellen. Alle anderen müssten dann einen Beitrag von wahrscheinlich rund 0,3 Prozent ihrer Bruttolohnsumme abführen.Nichts davon ist in Stein gemeißelt. Und schon jetzt darf man gespannt sein, wie Kiziltepes Entwurf durch ein (mindestens) monatelanges Verfahren kommt. Industrie- und Arbeitgeberverbände sowie Gewerkschaften werden dazu angehört, andere Senatsverwaltungen können für ihre Mitzeichnung eigene Vorschläge einbringen. Am Ende soll das Abgeordnetenhaus ein Gesetz verabschieden.Das ist ein übliches Verfahren, dennoch ist der Widerstand schon jetzt besonders groß und laut. Vor allem die Wirtschaft empört sich, doch auch aus Reihen der CDU, der FDP und der AfD gibt es jede Menge Kritik. Die Rede ist von einer Zwangsabgabe, die ausschließlich eine bürokratische Monsterbehörde erschaffe und durchfüttere. Das sei unsinnig und der Wirtschaft nicht zuzumuten. Matching: Häufig finden sich keine geeigneten Azubi-Kandidaten Eines der Hauptargumente gegen eine Bestrafung ist das Matching – oder besser: Mismatching. Es passt eben häufig nicht. Fachleute wissen, dass es mitnichten so ist, dass viele Unternehmen gar nicht ausbilden wollten. Sie haben nur große Schwierigkeiten, ausreichend Bewerber zu finden, die überhaupt ausbildungsfähig sind.So kommt es, dass Tausende Schulabgänger jedes Jahr ohne Ausbildung bleiben und gleichzeitig etliche Unternehmer auf ihren freien Plätzen sitzenblieben. Dabei verzichteten sie teils bereits seit Jahren darauf, ihre Plätze bei der Arbeitsagentur zu melden, weil sie von dort oft zu wenig passende Bewerber bekommen. Stattdessen machen sich die Unternehmen selbst auf die Suche, etwa, in dem sie selbst Anzeigen schalten. Das wiederum führt absurderweise dazu, dass die Arbeitsagenturen gar keine akkuraten Zahlen liefern könnten, mit denen die Politik arbeiten könnte. Ist das System also kaputt, die duale Ausbildung hierzulande am Ende?Tatsächlich veröffentlichte die IHK pünktlich zur Fertigstellung des Referentenentwurfs aus dem Hause Kiziltepe einen Zehn-Punkte-Plan, mit dem der Fachkräftemangel aus ihrer Sicht angegangen werden sollte. Demnach solle die Fachkräfteeinwanderung beschleunigt und die Verfahren effizienter gestaltet werden.Manja Schreiner in ihrer Zeit als Verkehrssenatorin. Inzwischen ist die CDU-Politikerin Hauptgeschäftsführerin der IHK.dpa Ausbildungslücke: Handelskammer setzt auf internationale Fachkräfte IHK-Hauptgeschäftsführerin Manja Schreiner entgegnet, die Berliner Wirtschaft sei „dringend auf internationale Fachkräfte angewiesen, um die wachsende Fachkräftelücke zu schließen und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben“. Langwierige Einwanderungsverfahren stünden diesem Ziel im Weg.Zentral dabei sei die Digitalisierung aller Verfahrensschritte, der Wegfall unnötiger Doppelprüfungen, die Reduktion der Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit, Erleichterungen beim Familiennachzug sowie die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Die neue Bundesregierung müsse entschlossen handeln. Denn: „Ohne Tempo und Effizienz verlieren wir wertvolle Talente an andere Länder“, so Schreiner weiter.Klingt ein bisschen wie: lieber fertige Fachkräfte einkaufen, als mühsam eigene auszubilden. Von Ausbildung heimischen Potenzials ist jedenfalls nicht die Rede.Steuerpläne der neuen Koalition: Verliert Schwarz-Rot das Maß?Bundespolitik28.03.2025Manja Schreiner: Berlins Ex-Verkehrssenatorin hat einen neuen JobCDU09.12.2024Bevor Manja Schreiner zur Industrie- und Handelskammer ging, war die CDU-Politikerin bekanntlich Verkehrssenatorin in Wegners Kabinett, ehe sie über Ungereimtheiten in ihrer Doktorarbeit stolperte. Noch davor war sie Geschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau, einem Zusammenschluss von Unternehmen aus dem Gewerbe. Rund 900 Betriebe bilden die Fachgemeinschaft – 350 aus Berlin, 550 aus Brandenburg.Im Baugewerbe gibt es seit 50 Jahren eine Ausbildungsplatzumlage. Damals stellten die großen Unternehmen die Ausbildung fast komplett ein und bedienten sich vor allem aus dem Markt, den kleine und mittlere Unternehmen schufen. Als diese ebenfalls mit dem Ausstieg aus dem System der dualen Ausbildung drohten – damals bildeten gerade einmal zwei Prozent aller Betriebe aus – wurde eine sogenannte Sozialkasse gegründet. Seitdem treibt die Kasse das Geld bei allen ein und gibt es an die ausbildenden Unternehmen weiter. Im Baugewerbe gibt es seit 50 Jahren eine Ausbildungsplatzumlage Auf diese Weise werden zumindest 17 Monate der Ausbildung finanziert. Die übrigen 19 Monate der üblicherweise dreijährigen Ausbildung trägt das ausbildende Unternehmen alleine.Das System mit der Sozialkasse sei eingeübt, habe sich etabliert und sorge tatsächlich immerhin für einen gewissen Lastenausgleich, sagt Katarzyna Urbanczyk-Siwek, auch wenn die Unternehmen keinen Bonus bekämen, kein zusätzliches Geld. Sie ist Nachfolgerin von Manja Schreiner als Geschäftsführerin der FG Bau.Dennoch halte sie von einer Ausweitung auf die gesamte Berliner Wirtschaft nichts, wie Urbanczyk-Siwek, wie sie im Gespräch mit der Berliner Zeitung offenbart. „Man muss zuerst die Anreize schaffen und darf nicht von oben etwas überstülpen“, sagt sie. „Und vor allem gilt: Man gewinnt durch die Umlage nicht einen einzigen Ausbildungsplatz. Dafür müssen immer beide Seiten zueinander passen.“ Es sei immer noch die Entscheidung jedes einzelnen Unternehmers, ob er ausbilde, die Verantwortung übernehme. Und die Kosten. Dazu muss man wissen, dass ein Unternehmen für einen Azubi pro Jahr durchschnittlich rund 7000 Euro veranschlagen muss.Das Übermaß von Regulierung und Vorschriften ist die wichtigste Bremse für wirtschaftliche Dynamik in der Hauptstadt. Es wäre unverantwortlich, diese Schraube noch weiterzudrehen.Alexander Schirp, Chef des Unternehmerverbandes UVB über die ArbeitsplatzumlageMit ihrer Ablehnung klingt Urbanczyk-Siwek ganz ähnlich wie Alexander Schirp, dem Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. „Eine Ausbildungsplatzabgabe wäre ein teures und nutzloses Konjunkturprogramm für Bürokratinnen und Bürokraten“, sagt Schirp. Es entstünde viel Frust und Belastung bei Unternehmerinnen und Unternehmern. Dabei sei schon jetzt das Übermaß von Regulierung und Vorschriften „die wichtigste Bremse für wirtschaftliche Dynamik in der Hauptstadt“, so Schirp. „Es wäre unverantwortlich, diese Schraube noch weiter zu drehen.“Nun weiß natürlich auch Verbandschef Schirp, dass sich Schwarz und Rot im Frühjahr 2023 auf eine Arbeitsplatzumlage geeinigt haben. Also macht er Druck und sagt: „Seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrags ist die Lage der Wirtschaft zudem deutlich schwieriger geworden – der Krieg, die Konjunktur- und Strukturkrise und die erratische Handelspolitik der USA belasten die Firmen massiv.“ Unternehmen und Verbände kritisieren die Zwangsabgabe Das ist das große Bild. Heruntergebrochen auf Berlin, sagt Schirp: „Der Senat sollte mit voller Kraft an den Verabredungen arbeiten, die wir im Bündnis für Ausbildung getroffen haben, statt die Wirtschaft mit der Abgabe zu gängeln.“Das Bündnis für Ausbildung, eine gemeinsame Anstrengung aller unter tatkräftiger Unterstützung der Politik, mit dem Ziel, womöglich die 2000 zusätzlichen Ausbildungsplätze bis zum Jahresende doch noch zu erreichen – das ist auch das, was Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) anstrebt. Allzu realistisch scheint das nicht zu sein, die Zahlen werden nach Auskunft von Fachleuten nur langsam besser. Wenn überhaupt.Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin, im Gespräch mit Arbeitssenatorin Cansel KiziltepedpaKai Wegner sagt es dennoch so: „Ich appelliere an alle Beteiligten, sich auf die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze zu konzentrieren.“ Im Übrigen aber gelte: „Es ist jetzt der falsche Zeitpunkt, eine Ausbildungsplatzumlage vorzubereiten, die die Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusätzlich belastet.“Ob es aus Wegners Sicht überhaupt einen „richtigen Zeitpunkt“ für eine genuin rot-rote arbeitsmarktpolitische Idee geben könnte, darf bezweifelt werden. Zwar gibt es in seiner CDU auch abwägende Stimmen, etwa von dem Arbeitsmarktpolitiker Martin Pätzold, der im Gespräch mit der Berliner Zeitung sagt: „Wir haben eine Verantwortung gegenüber den jungen Menschen. Und vor dem Hintergrund gibt es wenig Argumente gegen die Umlage.“Womöglich aber findet die Mehrheit in der CDU dennoch Mittel und Wege, die Entscheidung über eine Zwangsgebühr so lange auf die lange Bank zu schieben, bis im Herbst 2026 schon wieder gewählt wird. Koalitionsvertrag hin oder her. Für die Sozialdemokraten wiederum hieße das, dass sie bereits ein Thema für den Wahlkampf hätten. Lesen Sie mehr zum Thema BerlinPolitikCDUSPDBrandenburgBVGWirtschaftKoalitionsvertragBremenCansel Kiziltepe