S Grüne Tech-Revolution mit Hilfe der Öl- und Gas-Industrie? – AktuelleThemen.de

Natur und UmweltDeutschland Grüne Tech-Revolution mit Hilfe der Öl- und Gas-Industrie? Tim Schauenberg24.04.202524. April 2025Die Gewinnung von klimaschonender Erdwärme ist bisher nur begrenzt möglich. Technologische Fortschritte könnten das ändern. Dabei kann die Expertise der Öl- und Gasindustrie eine Schlüsselrolle spielen. https://p.dw.com/p/4tRUtWäre man nicht auf heißes Wasser in der Geothermie angewiesen, könnte man noch mehr Energie anzapfenBild: Philipp Sandner/DWAnzeigeIsland macht es vor. Kaum ein Land nutzt die Energie des Erdkerns so konsequent wie die Vulkaninsel hoch im Norden. Bereits zwei Drittel der Energie des Landes stammen aus heißen unterirdischen Wasservorkommen, aus Erdwärme. Eine erneuerbare Energie zur Produktion von Strom und Wärme, die rund um die Uhr zur Verfügung steht. Ob in der Türkei, in Indonesien, den USA, Kenia oder Italien: Erdwärme wird in vielen Ländern genutzt. Dabei gibt es einen Haken. Klassische Geothermie kann nur dort angezapft werden, wo sich geeignete und heiße unterirdische Wasservorkommen befinden. Diese gibt es aber nicht an vielen Orten. Darum ist das Potenzial dieser Art von Geothermie begrenzt.  Geysir im Garten – Island und seine Geothermalenergie To view this video please enable JavaScript, and consider upgrading to a web browser that supports HTML5 video Doch es bahnt sich eine technologische Revolution an, die Geothermie theoretisch überall auf der Erde möglich machen könnte – auch ohne riesige Vorkommen von heißem Wasser.  Erdwärme „ist sogar in der Pariser Innenstadt zu finden. Wenn man bohren kann, kann man darauf zugreifen,“ erläutert Heymi Bahar, Energieexperte von der Internationalen Energieagentur (IEA) im DW-Gespräch. Er und seine Kollegen haben im vergangenen Jahr einen umfassenden Bericht zur Zukunft von Geothermie herausgegeben. Sie sehen enormes Wachstumspotential für grüne Energie aus der Erde. Wie zapft man die Energie des Erdkerns an? Je tiefer man bohrt, umso wärmer wird es. Das heißt auch: umso mehr Energie lässt sich gewinnen. Im Schnitt steigt die Temperatur pro 1000 Meter Tiefe um 25 bis 30 Grad Celsius. Klassische Anlagen zur Gewinnung von Geothermie bohren in der Regel zwischen einigen hundert bis etwa 3000 Meter tief und nutzen die Energie heißer Wasserquellen. Mit neuen Technologien können Bohrungen noch viel tiefer vorstoßen, und die Wärme kann auch ohne Wasservorkommen genutzt werden. „Zwischen 4000 und 7000 Metern Tiefe ist es praktisch wie Wind- und Sonnenenergie, sie ist überall“, so Bahar. Das heißt: Fast überall auf der Welt ist es dort mindestens 150 Grad heiß. Das ist warm genug für die Wärme- und Stromproduktion, sagen die Forscher.Der Bohrturm des Eavor Loop soll 2026 in Betrieb gehen und vor allem Fernwärme für die Region liefernBild: Eavor Loop Mit der Energie in der Erde ließe sich theoretisch hundertfünfzig Mal so viel Strom produzieren, wie die Welt derzeit pro Jahr braucht, resümieren die Forscher im IEA-Bericht.  Kreislaufsysteme: Wärme aus trockenem Gestein Die Energie ist also schon da. Die Herausforderung besteht darin, sie kostengünstig anzuzapfen und an die Oberfläche zu befördern. Ein Beispiel, wie das gehen könnte, findet man im bayerischen Geretsried. Hier will das kanadische Unternehmen Eavor 2026 sein erstes kommerzielles Geothermiekraftwerk in Betrieb nehmen. Dabei handelt es sich um ein geschlossenes Kreislaufsystem, das ohne natürliche Heißwasserquelle auskommt und stattdessen die Wärme aus trockenem Gestein nutzt.  Das funktioniert so: Zwei Bohrlöcher werden jeweils etwa 5000 Meter senkrecht in die Erde getrieben. Von dort verzweigen sich mehrere weitere Bohrungen, die die beiden Hauptbohrungen miteinander verbinden. Durch dieses Netzwerk aus Rohren wird kaltes Wasser gepumpt. Auf seinem Weg durch das heiße Gestein nimmt es Wärme auf und transportiert diese zurück an die Oberfläche. Dort kann die Energie genutzt werden – zum Heizen über Fernwärmesysteme oder zur Stromerzeugung. Eavor plant, in Bayern 350 Millionen Euro in das Projekt zu investieren und und hält dafür mehrere Patente.  Wo ist der Unterschied zum klassischen Fracking für Öl und Gas? Konkurrenz bekommt Eavor aus den USA, wo das Unternehmen Fervo Energy mit finanzkräftiger Unterstützung von Google eine andere Methode zur Marktreife entwickelt. Der Ansatz besteht darin, selbst künstliche heiße Wasservorkommen unter der Erde zu schaffen, wo keine natürlichen vorkommen. Fervo Energy aus den USA ist mit einem anderen Ansatz auf dem MarktBild: Ellen Schmidt/AP/picture alliance Dafür hat Fervo Energy in der Wüste von Nevada zwei Tunnel in etwa 2500 Metern Tiefe gebohrt. Danach drehten sie die Bohrköpfe und bohrten horizontal weiter. Die Idee dahinter ist, dass horizontale Bohrungen den Prozess der Wärmeübertragung effizienter machen. Sobald die Bohrer die ideale Position erreicht haben, wird eine Flüssigkeit – in der Regel Wasser – unter hohem Druck in den Boden gepumpt, dadurch werden Steine und Felsen aufgebrochen.  Anschließend wird kaltes Wasser in die Bohrlöcher gepumpt. Es fließt nicht wie in Bayern durch Rohre, sondern direkt durch die Risse im warmen Gestein, heizt sich daran auf und wird wieder an die Oberfläche gepresst. Der Vorgang ähnelt dem umstrittenen Fracking zur Förderung von Öl und Gas. Aber Fervo habe das Verfahren optimiert, so Bahar. „In kurzer Zeit konnten die Kosten um 50 Prozent und die Bohrzeit um 70 Prozent gesenkt werden. Und jetzt bohren sie für ein neues 370- oder fast 400-Megawatt-Projekt in Utah.“ Risikofaktor: Bohrungen können Mini-Erdbeben auslösen Trotz des großen Potenzials gibt es Risiken. 2017 kam es bei Bohrungen nahe Pohang, Süd-Korea, zu einem heftigen Erdbeben. Dutzende Menschen wurden damals verletzt. „Das war ein großer Schock, und das war leider auch das Ende des Projekts, “ erzählt der Seismologe der Universität Stanford, William Ellsworth.Heftige Schäden in Pohang 2017, ausgelöst durch nicht gut gesicherte Bohrungen Bild: Newsis/Zumapress/picture alliance Das Aufbrechen von Gestein in der Tiefe verursacht manchmal mehrere kleine Erdbeben. Diese können außer Kontrolle geraten und dann weitere negative Effekte auslösen. Fervo Energy sagt, dass der Betrieb in den eigenen Anlagen stets sicher war und der gesamte Prozess umfangreich überwacht worden sei. Der Seismologe Ellsworth hält die Gefahr, mit der Technik ein Erdbeben auszulösen, für gering und kontrollierbar. Doch er appelliert für gründliche Voruntersuchungen des Bodens und für seismische Messungen während der Bohrung, um das Risiko zu minimieren.  Ein weiteres Problem: Das von Fervo Energy praktizierte „grüne Fracking“ benötigt große Mengen Wasser. Das ist anders bei geschlossenen Kreislaufsystemen wie dem von Eavor in Bayern. Diese verbrauchen deutlich weniger Wasser und haben ein kleineres Erdbebenrisiko, weil die Bohrungen den Boden weniger beeinträchtigen. Allerdings sind diese Verfahren wegen der Bohrtiefe und der langen Bohrungen teurer.  Ölindustrie kann helfen, Geothermiekosten zu senken  Derzeit werden neue Geothermie-Anlagen dort gebaut, wo die Hitze in relativ geringer Tiefe zu finden ist. Denn das Bohren auf vier-, fünf- oder sogar zehntausend Meter Tiefe steigert zwar die Energieausbeute, erhöht aber auch massiv die Kosten.  Beim Senken der hohen Kosten könnten große Öl- und Gaskonzerne eine entscheidende Rolle spielen. Deren Expertise und Technik wird laut Terra Rogers von der Nichtregierungsorganisation Clean Air Taskforce benötigt, um der Geothermie schnellstmöglich zu einem Durchbruch zu verhelfen. Die IEA schätzt, dass etwa 80 Prozent der Prozesse bei Erdwärmeprojekten – Bohren, Zementieren, Abdichten, Vertriebswege – auf Techniken und Abläufen beruhen, die die Öl- und Gasindustrie heute schon nutzt.  Bei Fervo Energy stammen rund 90 Prozent der Arbeitsstunden von Arbeitern aus der Öl- und Gasbranche. Auch viele Führungskräfte bei Fervo Energy und Eavor kommen aus dem fossilen Energiesektor. Es gibt sogar Überlegungen, alte Öl- und Gasbohrlöcher für die Geothermie umzunutzen. Bohrt die Öl- und Gasindustrie bald für grüne Energie aus der Erde? Doch bislang hat die fossile Industrie lediglich 140 Millionen US-Dollar in neue Geothermieprojekte investiert – ein Betrag, der im Verhältnis zur Gesamtbranche verschwindend gering ist. Laut Heymi Bahar wartet die Branche auf einen Innovationsdurchbruch, bevor sie größere Summen investiert. Das führt zu einem Dilemma: Ohne Investitionen wird es diesen Durchbruch kaum geben. Die IEA schätzt, dass die Geothermiebranche in den nächsten zehn Jahren rund eine Billion Dollar benötigen würde, um ihr volles Potenzial entfalten zu können. Auch gesetzliche Rahmenbedingungen sind nötig – bislang existieren diese erst in weniger als 30 Ländern . China, USA und Indien sind die vielversprechendsten Länder für Geothermie. Zusammen verfügen sie über drei Viertel des gesamten Marktpotenzials. Die Experten sind dennoch optimistisch. Wenn sich die Technologie weiterentwickelt, sicher bleibt und die Kosten noch weiter sinken, könnte Erdwärme bis 2050 mindestens 15 Prozent des gesamten weltweiten Strombedarfs decken, so die IEA.  Außerdem könnte Erdwärme den großen Öl- und Gaskonzernen die Möglichkeit geben in ein neues, nachhaltiges Geschäftsmodell einzusteigen. Das würden ihnen erlauben, das zu tun, was sie am besten können, nämlich zu bohren: „Drill Baby Drill“. Aber Öl und Gas würden dabei im Boden blieben. How big oil and gas can spark a geothermal energy revolution To view this video please enable JavaScript, and consider upgrading to a web browser that supports HTML5 video Schicken Sie uns Ihr Feedback!Ihr FeedbackAnzeige

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